„Wir meinen es ernst“: Der neue Weg der Generation Y
Report: Sinnsuche
Sie wuchsen als „Digital Natives“ auf. Sie wissen, dass die grenzenlose Freiheit des Internets nicht alles ist.

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- Vier Uhr morgens
- Generation Y will mehr als nur Spaß
- Sie wollte mehr als nur Job und Freizeit
- Politik ohne Partei
- Marie brach ihre steile Karriere ab
- Die Lösung: Selbstständigkeit
- Arbeit ohne Chef
- Verantwortung und Beständigkeit statt Abenteuerlust
- Heimat und die Liebe
- Sie wollte ihr Wissen an Kinder weitergeben
- Wissen für alle

Vier Uhr morgens
Die Bässe dröhnen, die Tanzfläche bebt. Nach Hause gehen wir noch lange nicht. Die Clique trifft sich draußen. Wer will noch weiterziehen? Am Ende bleiben alle hier, tanzen zu „Just Dance“. Es ist eine Partynacht wie fast jeden Samstag . Sonntags um zwei trifft man sich zum Katerfrühstück.
Was die „Sinnsucher“-Generation empfiehlt und was ihnen am Herzen liegt, zeigen wir HIER:

So war das mal jedes Wochenende. Ausgehen galt als unsere Religion. Heute ziehen wir morgens um fünf die Bergschuhe an. Und finden das supercool. Wandern ist gar nicht mehr altbacken. Es geht um Natur , nicht der einzige Wert, den wir gerade für uns entdecken.
Generation Y will mehr als nur Spaß
Wer heute zwischen 20 und 30 Jahre alt ist, der will mehr als nur Spaß. Der wünscht sich mehr Nähe in Beziehungen . Der will mehr Sinn und Selbstbestimmung im Job . Der sehnt sich nach Heimat, intakter Umwelt. Der möchte nicht an der glitzernden Oberfläche des Lebens bleiben, ist auf der Suche nach Ernsthaftigkeit, Sicherheit und Bindung.
Als „Generation Y“ werden diejenigen bezeichnet, die um die Millennium-Jahre herum Teenager oder jünger waren. Was diese Generation eint? Sie sind „Digital Natives“, weil sie mit Internet und Handy aufgewachsen sind . Das hat junge Menschen erst mal gelehrt: „Anything goes“, erklärt Philipp Riederle. Der 19-Jährige gilt als „Digital Native“-Experte und berät große Firmen. Das Internet biete unbegrenzte Chancen : „Kein Anzugträger muss entscheiden, ob ich eine Platte veröffentlichen darf oder ob ich bei einem tollen Projekt dabei bin.“
Die vielfältige Auswahl führe aber auch zu einem Wertewandel. Das hat Martina Gille vom Deutschen Jugendinstitut festgestellt: „Eine Generation, die nie Teil einer großen Protestaktion war, wird gerade erwachsen. Und sie begehrt mit vermeintlich spießigen Werten auf“, sagt Gille. Wer mit der grenzenlosen Freiheit der Globalisierung aufwuchs, möchte Geborgenheit, Sinn und Sicherheit. Vier Frauen erzählen, was ihnen wichtig ist .

„Der Sinn des Lebens? Gelebte Nächstenliebe“
Claudia Reimers, 33, Apothekerin aus Berlin
Bald geht es los, in wenigen Wochen wird Claudia im Gesundheitscamp sein. Mitten auf dem Land in Nepal, 300 Kilometer westlich der Hauptstadt Kathmandu, in einer schwer zugänglichen Mittelgebirgsregion. Der Baglung-District ist eine der ärmsten Gegenden der Erde, die hygienischen Bedingungen sind wie auch die Versorgung mit Medikamenten katastrophal.
Mit nepalesischen Ärzten und Apothekern wird Claudia zusammenarbeiten, die Einheimischen im Gesundheitscamp mit Impfungen und Arzneimitteln versorgen. Außerdem wird sie verstreut liegende Gesundheitszentren besuchen und dort Mitarbeiter schulen.
Sie wollte mehr als nur Job und Freizeit
Es erwarten sie: anstrengende Fußmärsche, schlichte Nachtlager, einfaches Essen , Kälte, Armut, Krankheit. Das ist ihr Weg: „Ich freue mich schon wahnsinnig auf den Einsatz, mein erster im Ausland für Apotheker ohne Grenzen“, sagt Claudia. Vor etwa sechs Jahren spürte sie, dass in ihrem Leben mehr passieren müsse als bloß Job und Freizeit: „Ich vermisste echtes Engagement, gelebte Nächstenliebe“, sagt sie.
Viele ihrer engsten Freunde tun etwas, etwa für Tierschutz, im ökologischen Tourismus oder für bessere Klimapolitik. Nach einer langen Asienreise vor drei Jahren wusste die 33-Jährige, wohin sie wollte. Sie wurde Mitglied bei Apotheker ohne Grenzen. In Deutschland organisierte sie Sammel-Aktionen für die verschiedenen Projekte ihres Vereins, doch sie sehnte sich nach mehr: „Ich möchte dazulernen, gleichzeitig mein Wissen und meine Fähigkeiten weitergeben!“, sagt sie.
Traumeinsatz: Claudia geht für Apotheker ohne Grenzen nach Nepal. Beides wird in Nepal der Fall sein. Sie wird sich mit einer fremden Kultur auseinandersetzen und anderen helfen, sich selbst zu helfen: „Für mich liegt der Sinn meines Lebens im Leben selbst“, sagt Claudia, „deshalb bin ich immer auf der Suche nach Erkenntnis und persönlicher Entwicklung.“ Politik ohne ParteiJunge Menschen haben keine Lust auf Engagement? Stimmt nicht, meinen Experten. Sie suchen sich nur neue Wege statt die konventionelle Parteipolitik. Sie folgen einer anderen Motivation: „Wir haben herausgefunden, dass die junge Generation nicht weniger politisch ist. Sie interessiert sich aber nicht so sehr für Parteien und deren Hierarchien. Junge Menschen wollen unmittelbar, spontan und kurzfristig Aktionen unterstützen wie beispielsweise die Occupy-Bewegung“, sagt Forscherin Martina Gille. Also: Engagement ja! Aber nur, wenn man selbst etwas bewegen kann, das Ziel klar und eindeutig ist. Oft sei der Einsatz kurzfristig und auf ein bestimmtes Projekt bezogen. „Ich möchte selbstbestimmt und für Herzensprojekte arbeiten“ Marie Rienecker, 28, PR-Beraterin aus Hamburg Morgens um sechs Uhr eine Stunde Yoga. Wenn die Stadt noch schläft, ist Marie gerade beim Sonnengruß. Dann macht sie sich einen Lemonjuice, frühstückt in aller Stille. Um acht Uhr sitzt die 28-Jährige am Schreibtisch in ihrem eigenen Arbeitszimmer. Und das ist genauso eingerichtet und durchorganisiert, wie sie es liebt. „Jetzt läuft alles so, dass ich mich wohlfühle“, sagt Marie. Noch vor drei Jahren war sie angestellt in einer der renommiertesten PR-Agenturen Deutschlands, arbeitete in einem Großraumbüro, feste Arbeitszeiten, Meetings und Reisen. Sie führte zwar ein aufregendes Leben zwischen schickem Office und exklusiven Kunden aus der Luxusindustrie, die sie in Pressefragen beriet. Doch die Arbeit vereinnahmte ihr ganzes Leben. Marie brach ihre steile Karriere abNach fünf Jahren stand Marie an einem Punkt, an dem sie sich fragte, ob sie so weitermachen will – und kann. „Allein die Arbeitszeiten gingen komplett gegen meinen Biorhythmus. In der Agentur war morgens um zehn Uhr Arbeitsbeginn und frühestens um sieben Schluss. Wenn man aber wie ich vormittags am Produktivsten ist und gerne um sechs aufsteht, geht das an die Substanz“, sagt Marie. Und das alles nur für Geld und Glamour? Sie brach die steile Karriere ab, heuerte im Team für Öffentlichkeitsarbeit der Stiftung Sternenbrücke an. Das Hamburger Hospiz betreut Kinder und Jugendliche, die unheilbar krank sind – bis zu ihrem Tod. Der Verein ist auf Spendengelder angewiesen. Und so kümmerte sich die 28-Jährige von nun an um eine professionelle Außendarstellung des Hospizes. Zwar fühlte sie sich der Arbeit weniger entfremdet, doch noch immer war sie nicht am Ziel: „Ich spürte, dass ich ganz selbstbestimmt arbeiten wollte und als Freiberuflerin mit meinem Handwerk noch mehr Gutes tun kann.“ Die Lösung: SelbstständigkeitNach einem Jahr kündigte sie wieder, machte sich selbstständig. Heute arbeitet sie auch als Dozentin, organisiert Yoga-Retreats, schreibt an einem Buch und betreut immer gleichzeitig mehrere Projekte, „die mir am Herzen liegen – gelegentlich auch die Sternenbrücke“, erzählt Marie.
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