Perfektionismus – eine Bankrotterklärung an das Vertrauen?

 

Ein Perfektionist erledigt Aufgaben gewissenhaft. Er ist zuverlässig.

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Doch zu welchem Preis? Ein Plädoyer für mehr Vertrauen, mehr Leben und weniger Perfektionismus.

Der Perfektionismus ist ähnlich wie die Harmoniesucht, über die ich kürzlich schrieb, eine jener Eigenschaften, die man von zwei Seiten betrachten sollte.

Jemand der immer alles perfekt haben oder machen möchte, ist grundsätzlich jemand, dem man relativ beruhigt Aufgaben übertragen kann, denn der Perfektionist wird nichts Halbgares oder Hingeschludertes abliefern. Vielleicht braucht er sehr viel länger, weil er sich in dem ein oder anderen Detail verliert, aber wenn das Ergebnis dann in seinen Augen präsentabel ist, wird er viel Lob bekommen und ein leises Aufatmen wird irgendwo zu hören sein, dass er endlich wieder aufgetaucht ist und am Leben teilnehmen kann. Schwierig wird es, wenn man mit einem Perfektionisten zusammen für irgendetwas verantwortlich ist. Perfektionisten sind selten gute Teamplayer.

Aus ihrer Position heraus auch nachvollziehbar. Schließlich sind sie die Einzigen, die wirklich bereit sind alles zu geben, denn das was die anderen abliefern, ist in ihren Augen oft minderwertig und für sie völlig unverständlich, wie man damit zufrieden sein kann. So prallen im Team mit einem Perfektionisten Welten aufeinander. Der nicht perfektionistisch Veranlagte fühlt sich gegängelt und ist genervt von der Ausdauer des Perfektionisten. Dieser wiederum fühlt sich, ob des in seinen Augen oft minderwertigen Ergebnisses, manchmal sogar persönlich angegriffen, denn er geht davon aus, dass es mangelnde Wertschätzung sein muss, wenn jemand sich nicht so engagiert wie er selbst. Die eine Seite des Perfektionismus ist also die, die wir nach außen hin sehen. Der Perfektionist ist gründlich und detailgenau und seine Ergebnisse liegen oft über dem Durchschnitt. Seiner Umwelt fällt er damit manchmal auf die Nerven, aber das kann er gut ertragen. Die andere Seite ist aber die, die im Inneren liegt. Es stellt sich die Frage, was ein Mensch davon hat, perfektionistisch zu sein?

Was sind die inneren Ursachen für Perfektionismus?

Eine Antwort liegt relativ sichtbar auf der Hand. Man bekommt Anerkennung für die Dinge, die man abliefert. Für die tausend Excel Listen - ohne Fehler, die Recherche, an der man nächtelang gesessen hat, die immer selbst gemachten Kuchen, auch wenn man schon 1.000 Dinge am Hacken hat, die bis ins allerletzte durchgeplante Familienfeier auf der nichts, und zwar absolut nichts, dem Zufall überlassen wird, der flache Bauch, obwohl man ständig Hunger hat und das Sportprogramm 5 mal in der Woche, obwohl man eigentlich total erschöpft ist. Beachtliche Leistungen, keine Frage!

Aber was ist die Gemeinsamkeit hinter all den Beispielen und auch das, was alle Perfektionisten eint?

Sie haben Angst die Kontrolle zu verlieren und Kontrollverlust könnte irgendetwas Unbekanntes und Unbequemes nach sich ziehen, auf das man dann vielleicht nicht adäquat reagieren kann. Sich nicht verrückt zu machen, sicher zu sein, dass man auch bei einer 80% Performance – egal in welchem Bereich - noch durch Charme, Lockerheit und Liebenswürdigkeit punkten kann, entspannt zu sein und auch mit den Anforderungen von außen, und von sich selbst an sich selbst, umzugehen, hat immer viel mit Vertrauen zu tun.

Und zwar Vertrauen auf drei Ebenen.

1) Vertrauen in das Leben, dass Alles was einem passiert schon irgendeinen Sinn haben wird, und dass das Leben es nicht grundsätzlich schlecht mit einem meint.

2) Vertrauen in andere Menschen, dass es schon gut und richtig sein wird, was sie tun, oder zumindest das Beste, was sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt leisten konnten.

3) Vertrauen in sich selbst, dass man mit Allem, was einem begegnet schon irgendwie klar kommen wird.

Übertriebener Perfektionismus ist eigentlich eine Bankrotterklärung an das Vertrauen, denn man kann nichts mehr dem Zufall überlassen und möchte stattdessen lieber alles unter Kontrolle haben und selbst steuern.

Das Leben lässt sich aber nicht kontrollieren. Es hat seinen eigenen Kopf, und der Tanz, den wir mit ihm führen ist viel lieblicher und harmonischer, wenn wir uns führen lassen, beweglich genug bleiben, um uns sanft den unterschiedlichen Rhythmen anzupassen und uns nicht zwingen uns schneller als der Takt es vorgibt zu bewegen.

Ich glaube ein gesunder Wunsch nach Perfektion ist im Job bestimmt nicht verkehrt, aber in allen anderen Bereichen des Lebens passieren die schönsten und berührensten Geschichten eigentlich immer Abseits von Kontrolle und Perfektion.

Aber wie lernt man loszulassen und zu vertrauen?

Man sollte sich klarmachen, dass viele Dinge überhaupt nicht so wichtig sind, wie man denkt, dass sie es sind, und dass man Glück nicht mit Perfektion verwechseln sollte. Ob die Deko perfekt, der Kuchen selbst gebacken, die 12seitige Excel Liste fehlerfrei, die Kinder dreisprachig, der Bauch flach, der Bizeps prall, die Wohnung wie bei Wohnidee und unsere Familienfotos wirken, als seien sie aus einem Till Schweiger Film mit Weichzeichner, ist eigentlich vollkommen egal.

Irgendwie geht es doch im Leben meistens darum, dass Menschen sich miteinander wohlfühlen und wir fühlen uns da wohl, wo eine entspannte und vorallem konkurrenzfreie Stimmung herrscht. Wir müssen uns alle sooft und soviel im Leben beweisen, dass wir dankbar sind, wenn uns das mal erspart bleibt. Wichtiger als perfekt zu sein, ist es authentisch zu sein.

Eine Freundin von mir trägt ein Tattoo mit dem Spruch: "Liebe muss nicht perfekt sein, sondern echt." Ich meine man sollte das ausdehnen auf: „Leben muss nicht perfekt sein, sondern echt!"

Hört auf Euch und andere unter Druck zu setzen, lasst los (Mein Artikel zum Loslassen findet ihr hier), vertraut dem Leben, den Menschen und Euch und gebt Kontrolle ans Universum ab, denn da gehört sie hin. Am Ende können wir uns nämlich drehen wie ein Brummkreisel, wenn das Universum mit einem Paukenschlag dazwischen schlägt, fallen wir ja doch auch nur um.

Viel Spaß beim Unperfekt sein!

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Weiterlesen: Die Schwäche der starken Frauen und
Harmoniesucht: Eigentlich haben wir immer nur Angst nicht geliebt zu werden

Dieser Text ist ein Gastbeitrag von Susanne Henkel. Susanne ist systemischer Coach und Unternehmerin. Sie arbeitet bundesweit als Coach. Ihre Praxis befindet sich in Neu-Isenburg, in der Nähe von Frankfurt am Main. Ihr Angebot richtet sich sowohl an Privatpersonen, die mit rein privaten Themen zu ihr kommen, als auch an Firmen, die sie für Führungskräfte- und Team Coachings buchen. Spezielles Augenmerk legt Susanne Henkel immer darauf ihre Klienten dabei zu unterstützen, ihr eigenes Bauchgefühl wahrzunehmen, um Entscheidungen und Lösungen immer auf Basis der rationalen und emotionalen Ebene treffen zu können. Der Grund dafür klingt denkbar einleuchtend: Laut Susanne Henkel sind alle Lösungen oder Entscheidungen, die in derartiger Ausgewogenheit von Kopf und Herz getroffen werden, für die Menschen mit Leichtigkeit und voll motiviert umzusetzen.

Nähere Informationen zu Susanne Henkel und zum Thema Coaching finden Sie auf ihrer Homepage: www.talkabout-coaching.de. Mehr Artikel von ihr gibt es auf ihrem Blog: www.talkabout-blog.de