Stiftung Warentest: Melatonin-Einschlafhilfen für Kinder - das sagt eine Kinderärztin
Mittel mit Melatonin für Kinder sind laut Stiftung Warentest nicht zu empfehlen. Aber was sagt eine Kinderärztin zu den Einschlafhilfen?

Manchmal gleicht die Einschlafbegleitung des eigenen Kindes einem Bergaufstieg. Es dauert, ist mühselig und es scheint kein Ende in Sicht. Damit das Kind schneller einschläft (und durchschläft), greifen Eltern häufiger zu Mitteln, die das Schlafhormon Melatonin enthalten. Die Stiftung Warentest hat vier Nahrungsergänzungsmittel getestet und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass diese "auf keinen Fall harmlos" sind.
Doch was sagt eine Expertin dazu? Wir haben Prof. Dr. Ursula Felderhoff-Müser, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), zu dem Thema befragt – und eine klaren Antwort bekommen.
Stiftung Warentest: So haben die Melatonin-Mittel für Kinder abgeschnitten
Sie sehen harmlos aus, wie ein Fruchtgummi und sollen beim Einschlafen helfen: Die Stiftung Warentest hat für ihre Zeitschrift vier Melatonin-Mittel für Kinder genauer unter die Lupe genommen (Ausgabe 7/2025):
Gumtamin
Wick
Horbäach
Jelly Pills
Eigentlich verteilen die Tester*innen der Stiftung Warentest immer Noten für ihre geprüften Produkte. Doch in diesem Fall gibt es keine Bewertungen als Testergebnis, denn: "Das Fazit ist für alle Mittel gleich: Wir warnen vor diesen Präparaten und raten von Nahrungsergänzungsmitteln mit Melatonin ab. Sie sind keine harmlosen Schlummerhelfer", heißt es im Bericht.
Melatonin für Kinder: Das Fazit der Stiftung Warentest
Die Stiftung Warentest rät von den Melatonin-Mitteln vor allem aus diesen Gründen ab:
Die Mittel sehen aus wie ein Fruchtgummi, was als heimliche Nascherei Überdosierungen zur Folge haben kann, wenn das Kind freien Zugang zu den Mitteln hat.
Melatonin hat Nebenwirkungen wie Albträume, Gangunsicherheit, Schläfrigkeit, Kopfschmerzen und ein erhöhter Blutzuckerspiegel. "Kinder können also am nächsten Morgen alles andere als ausgeschlafen sein", so die Warentester.
Die Nebenwirkungen bestätigt auch Prof. Dr. Ursula Felderhoff-Müser: "Nebenwirkungen sind morgendliche Schläfrigkeit, ggf. Einnässen, Kopfschmerzen, Schwindel, Durchfall, leichte und vorübergehende Kopfschmerzen und gastrointestinale Symptome, die hauptsächlich in den ersten Tagen der Behandlung auftreten."
Wie viel Melatonin Nahrungsergänzungsmittel enthalten dürfen, ist in Deutschland nicht klar geregelt. In zwei der vier getesteten Mittel stecken1,15 Milligramm Melatonin drin - doppelt so hoch wie der deklarierte Wert. Zwei von vier Mitteln enthalten zu viel an Vitamin B6. Laut Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) sollen Nahrungsergänzungsmittel nicht mehr als 0,9 Milligramm Vitamin B6 pro Tagesdosis enthalten. Denn: Wer dauerhaft hohe Mengen Vitamin B6 zu sich nimmt, riskiert Störungen des Nervensystems.
Die Langzeitfolgen sind noch nicht ausreichend untersucht. Aber "laut Studienlage lässt sich nicht ausschließen, dass Melatonin die hormonelle Entwicklung von Kindern beeinflusst", schreibt das Testmagazin in seinem Bericht. Es könnte das Längenwachstum gesteigert (und das bereits bei einer einmaligen Dosis von 0,5 Milligramm) und den Eintritt in die Pubertät verzögern.
Einschlafhilfen für Kinder: Das sagt eine Kinderärztin
Ursula Felderhoff-Müser hat eine klare Meinung zum Einsatz der Melatonin- Einschlafhilfen: "Melatonin sollte bei Kindern, ohne schlafbezogene Beschwerden, nicht zur ,Verbesserung des Schlafes' eingesetzt werden."
Von sehr seltenen Ausnahmen abgesehen, sollte Melatonin nicht an gesunde und normal entwickelte Kinder unter zwei Jahren verabreicht werden, da die überwiegende Mehrheit der Schwierigkeiten zu schlafen auf verhaltensbedingte Ursachen zurückzuführen sei. "Darüber hinaus gibt es keine Studien, die die Wirksamkeit und Sicherheit von Melatonin bei kleinen Kindern untersucht haben."
Laut Ursula Felderhoff-Müser sollte Melatonin für Kinder auch nicht "bei anderen Schlafstörungen als chronischer Störungen des normalen Schlaf-Wach-Rhythmus angewendet werden." Die Ärztin ergänzt:
"Melatonin ist auch nicht angezeigt bei anderen Schlafstörungen wie Schlafwandeln und unruhigem Schlaf."
"Melatonin sollte auch nicht empfohlen werden, um Heranwachsende (d.h. die keine Schlaf-Wach-Rhythmus-Störung haben) zu zwingen, früher schlafen zu gehen, um den frühen Schulanfangszeiten Rechnung zu tragen."
Melatonin ist ein Hormon, das den Schlaf-Wach-Rhythmus steuert. Ein gesunder Körper kann es selbst bilden. Es wird bei Dunkelheit in der Zirbeldrüse (Epiphyse) des Gehirns produziert und bei Tageslicht abgebaut. Seinen Höchstwert erreicht Melatonin zwischen zwei und vier Uhr morgens. Zusätzliches Melatonin als Nahrungsergänzungsmittel kann diesen natürlichen Rhythmus aus dem Takt bringen.
Wann Melantonin für Kinder sinnvoll ist
"Seltene Ausnahmen sind Kinder mit neurologischen Erkrankungen und damit verbundenen Störungen des zirkadianen Schlaf-Wach Rhythmus. "In diesem Bereich ist Melatonin gut untersucht und wird mit recht gutem Erfolg eingesetzt", so die Expertin.
Alternativen zu Einschlaf-Mitteln für Kinder
Anstatt Kindern mit Melatonin zum Einschlafen zu bringen, gibt es andere Wege, die helfen und unbedenklich sind. "Vor allem feste Zeiten und klare elterliche Vorgaben zum Schlafengehen sind wichtig", empfiehlt Ursula Felderhoff-Müser.
Den Tag verarbeiten: Spreche beim Abendessen mit deinem Kind über den Tag (sofern das schon möglich ist), damit es das Erlebte verarbeiten kann. Dafür eignet sich z.B. die Frage nach dem "Hoch" (Was war heute gut?) und dem "Tief" (Was war heute schlecht?) des Tages. Achtung: Lieber nicht beim ins Bett bringen nach dem Tag fragen – das kann emotional aufwühlen.
Keine Bildschirmzeit: Etwa ein bis zwei Stunden vor dem ins Bett gehen sollte dein Kind nicht mehr Fernsehen oder auf dem Tablet spielen.
Viel Bewegung am Tag: "Oft schlafen Kinder schlecht ein, wenn sie über Tag zu viel erlebt haben, aufgedreht sind oder zu wenig Sport gemacht und allgemeinen Bewegungsmangel haben", erklärt Felderhoff-Müser.
Ruhige Aktivitäten vor dem Schlafen: Tagsüber sollten Kinder sich viel bewegen, direkt vor dem Schlafen aber lieber nicht mehr Toben lassen, damit dein Kind besser runterfahren kann, wie z.B. mit einem Entspannungsbad. Etwa ein bis zwei Stunden vor dem Schlafen solltest du für eine ruhige Umgebung sorgen. Das bestätigt auch Ursula Felderhoff-Müser. "Bei gesunden Kindern, die sich schwer tun zur Ruhe zu kommen, helfen zur Schlafenszeit klare zeitliche Limits der Eltern mit eine Ruhephase vor dem Schlafengehen, also keine Mobiltelefone, keine coffeinhaltigen Getränke, nicht rumtoben."
Einschlafbegleitung- und Rituale: Vor dem Schlafen Bücher vorlesen beruhigt, ebenso Singen, Hörspiel oder Musik hören.
Schlafumgebung: "Das Zimmer sollte möglichst dunkel und leise sein, ein besonderes Schlaflicht für Kinder ist hilfreich bei ängstlichen Kindern", rät die Kinderärztin. Die ideale Temperatur liegt bei 16 bis 19 grad Celsius. Wenn dein Kind partout nicht in seinem Bett schlafen möchte, nimm es mit in dein Bett. Die meisten Kinder brauchen gerade nachts die Nähe der Eltern.
"Sollten diese Maßnahmen gar keinen Erfolg zeigen, sollte der Kinderarzt konsultiert werden", so die Kinderärztin.
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