Tierschutz

Warum Kaschmir-Pullover teuer, aber nicht edel sind

Jeder will Kaschmir-Wolle tragen. Doch was passiert, wenn ein Luxusgut immer günstiger wird? Warum der Kaschmir-Boom Ziegen-Leid und Sandstürme mit sich zieht.

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Etwas liegt auf dem Boden. Es sieht aus wie ein weißer Teppich, flauschig, mit langer Wolle, die Art, wie man sie in großen Möbelketten findet. Ein Mann sitzt darauf, die Beine auf dem weichen Untergrund abgelegt. Seine Hände machen sich an den langen Flusen zu schaffen, er holt ein Werkzeug hervor. Ein Schrei ertönt. Er ist nicht hell und schrill, sondern tief und rau. Plötzlich fängt der Teppich an sich zu bewegen.

Der Mann mit dem Werkzeug ist ein Scherer, der Teppich auf dem Boden eine Kaschmir-Ziege. Der Schrei kommt aus ihrem Maul, das man nicht erkennt, da der Kopf auf den harten Asphalt gedrückt wird. Die Prozedur ist Alltag in China, einem der größten Kaschmir-Produzenten weltweit. Denn jeder möchte Kaschmir-Pullover haben.

Jeder will einen Kaschmir-Pullover

Kaschmir-Ziegen brauchen ihre Wolle. Brauchen wir sie wirklich?
Kaschmir-Ziegen brauchen ihre Wolle. Brauchen wir sie wirklich? Foto: iStock

Es ist das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Immer mehr Menschen wollen ein Kaschmir-Produkt besitzen. Ich schließe mich davon nicht aus. Ich habe lange Zeit die Begeisterung meiner Mutter für das Material in Frage gestellt – bis ich selbst eine Jacke aus Kaschmirwolle trug. Und ja, das gemütliche, weiche Kleidungsstück hat es auch mir angetan. Das Problem mit dem Material: Es ist teuer. Produkte aus Kaschmir gelten als edel und besonders. So schlug auch meine anfängliche Abneigung in eine neue Überzeugung um: Qualität hat eben ihren Preis.

Ein hoher Preis suggeriert unterbewusst eine gute Qualität. In der Realität sind diese Variablen jedoch oft voneinander unabhängig. Das zeigen Videos wie das der Tierschutzorganisation peta, die live beim Scheren der Ziegen dabei waren, um deren Wolle sich die Welt reißt. Denn das ist das Problem von Angebot und Nachfrage: Der Kaschmir-Boom verursacht eine Preisdrückung. Selbst Discounter bieten Produkte mittlerweile zu Stückpreisen weit unter 100 Euro an.

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Qualität und Preis - was passiert, wenn Kaschmir-Wolle günstiger wird?

Wie kann ein günstiger Preis garantiert werden? In dem in der Produktion gespart wird. Im Falle von Kaschmir bedeutet das an der Haltung der Tiere. Was der Kaschmir-Boom auslöst, weiß Frank Schmidt. Der Fachreferent für Tiere in der Bekleidungsindustrie bei PETA beobachtet die Entwicklung kritisch. Denn Kaschmir-Ziegen brauchen ihr Fell und das braucht Pflege – die Produzenten bei dem Preisdruck nicht gewährleisten können.

Was bedeutet das in der Realität? Kommen Ziegen mit einem zu dunklen Fell auf die Welt, ist ihr Leben schnell beendet. „Ist der Farbschlag der Zicken nicht passend, werden sie geschlachtet. Die Haltung lohnt sich nicht und wäre viel zu teuer“, so Schmidt, der damit auf ein weiteres Problem hinweist: „In China gibt es kein vergleichbares Tierschutzgesetz. Die Schlachtung geschieht ohne Betäubung, heißt, die Kehle wird aufgeschnitten und die Tiere verbluten bei vollem Bewusstsein.

Auch ohne Schlachtung überleben nicht alle Jungtiere den Winter. Unterkünfte gibt es keine, Kosten werden gespart. Die Ziegen leben im Freien. Ihr Körper selbst ist nicht für die extremen Witterungsbedingungen von minus 30 Grad gebaut – eine Fettschicht besitzen sie nicht. Das Fell soll die Tiere durch den Winter bringen. Wird es zu früh geschoren oder bricht nach der Schur eine neue Kältewelle ein, sind die Kaschmir-Ziegen bereits innerhalb einer Stunde im Regen unterkühlt. Die Unterkühlung führt nicht selten zum Tod. Probleme, wie man sie bereits aus der Mohair-Produktion kennt

"Die Schur ist für Kaschmir-Ziegen extrem stressvoll"

Überleben die Ziegen den Winter, haben sauberes Fell und den passenden Farbschlag, dürfen sie leben. Dann werden sie geschoren. Dabei entstehen Bilder von Ziegen, die mit Teppichen verwechselt werden und Scherern, die sie gewaltsam zu Boden drücken und fesseln. Die Arbeiter stehen unter Zeitdruck. Die Kaschmir-Ziegen unter Stress. Eine Kombination, deren Folge tiefe Schnittverletzungen sind, für deren Versorgung Zeit und Geld fehlen.

Das Tierwohl ist nicht das einzige Problem, das Frank Schmidt Sorgen macht. Von dem Leid der Ziegen einmal abgesehen, bleibt der Kaschmir-Boom auch für die Umwelt nicht folgenlos. China kämpft mit einer Versteppung. Die Flächen sind abgegrast, zurück bleibt pure Wüste, in der Sandstürme entstehen. Pflanzen bleiben keine nach – zu viele Tiere müssen die Kleinfarmer versorgen, um der hohen Nachfrage und dem Preisdruck gerecht zu werden.

Das nächste Mal, wenn ich einen Kaschmir-Pullover im Angebot sehe, werde ich innehalten und nachdenken. Qualität hat ihren Preis. Vor allem aber hat Tierwohl einen Preis. Wie viel wiegt ein Ziegenleben im Vergleich zu deinem Wohlbefinden? Ich für meinen Teil werde das menschenähnliche Geschrei so schnell nicht vergessen. 

Eine bessere Alternative: Naturmode: Organic Cotton, Fair Trade & Co

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