Wann ist lügen ok?
Lügen: Wann sind sie okay, wann nicht
Keiner gibt es gerne zu, jeder macht es: Im Schnitt lügen wir bewusst viermal pro Tag. Warum wir das tun, wann es okay ist und in welchen Situationen Sie die Wahrheit letztlich weiterbringt, haben wir mit Experten geklärt.
- Notlügen und Flunkereien
- Dienst für die Freundschaft?
- Kater oder Arzttermin?
- Flunkern beim Online-Dating
- Lügen im Job
- Loyalität gegenüber der besten Freundin
- Augen zu und durch?
- Soziale Notlügen
- Beichten oder nicht?
- Wenn der Freund daneben liegt
- Beruf und Privates trennen
- Mal nicht erreichbar sein
- Frisch verliebt
- Vorlieben vortäuschen
Sagen wir wirklich 200-mal pro Tag die Unwahrheit? Diese unglaubliche Zahl aus dem Internet taucht häufig auf, wenn es um das Thema Lügen geht. Allerdings weiß niemand genau, woher sie kommt. Realistischer erscheint eine Studie, die von vier bewussten Lügen pro Tag ausgeht.
Besonders wenig achten wir offenbar im Gespräch mit Fremden auf Ehrlichkeit: Um uns sympathisch zu präsentieren, sagen wir schon in einem zehnminütigen Gespräch im Schnitt dreimal die Unwahrheit, so eine Studie der Universität Massachusetts.
Notlügen und Flunkereien
Gründe zu flunkern gibt es viele, z. B. weil Sie Ihr Gegenüber vor einer unbequemen oder verletzenden Wahrheit schützen wollen oder selbst durch eine kleine Übertreibung besser dastehen. Solche Notlügen tun doch keinem weh, oder?
Manchmal wird ja sogar erwartet, mit der Wahrheit hinterm Berg zu halten. Oder glauben Sie wirklich, dass Ihr Chef von Ihrem Liebeskummer hören will, wenn er Sie fragt: „Wie geht es Ihnen?“ Übrigens: Männer lügen etwa 20 Prozent mehr als Frauen. Vielleicht weil wir Frauen sensibler darin sind abzuschätzen, wann sich eine Lüge lohnt?
Den Partner loben
Die Situation: Ich lobe jeden meiner Partner: „Du bist der Beste, den ich je im Bett hatte!“ Nur so kann ich doch sein Selbstbewusstsein pushen, oder?
Das sagen die Experten: „Wenn der Sex für Sie eher durchschnittlich ist, dann steuern Sie damit in eine riskante Richtung – ähnlich wie beim Vortäuschen von Orgasmen“, warnt Diplom-Psychologe Holger Lendt, Autor des Buches „Treue ist auch keine Lösung: Ein Plädoyer für mehr Freiheit in der Liebe“ (Pendo, um 18 Euro).
Denn dann glaubt er, alles sei optimal, und wird sich nie ändern. Außerdem behandeln Sie Ihren Partner damit wie ein Kind, das belogen werden muss, weil es die Wahrheit nicht verkraftet. Wenn Sie ihm ein Kompliment machen wollen, dann sagen Sie ihm doch einfach, was Sie am Sex mit ihm unverwechselbar finden und wirklich genießen. Dann können Sie auch differenziert darstellen, was Sie ansonsten gerne anders hätten …
Dienst für die Freundschaft?
Die Situation: Meine Freundin führt mir stolz ihr neues Kleid vor und fragt: „Steht mir das?“ Leider trägt der Fummel total auf und lässt sie fünf Kilo schwerer aussehen. Wie reagiere ich?
Das sagen die Experten: Stellen Sie sich die Situation doch mal andersherum vor! Wäre es Ihnen nicht auch lieber, wenn man Ihnen sagen würde, dass Sie sich in einer Klamotte in die Öffentlichkeit wagen, für die die Bezeichnung Kartoffelsack noch gnädig wäre? Eben.
Diplom-Psychologin Andrea Schaal (www.andreaschaal.de) rät zur Ehrlichkeit: „Freunde sollten loyal zueinander sein. Dazu gehört auch der Hinweis, dass sich Ihre Freundin vorteilhafter kleiden könnte.“ Natürlich ganz vorsichtig: „Das steht dir irgendwie nicht so richtig – da hast du viel schickere Sachen im Schrank!“ Seien Sie ihr Spiegel und helfen Sie ihr, sich bestmöglich zu präsentieren. Bei potenziellen beleidigten Leberwürsten hilft es, gleich noch ein Kompliment hinterherzuschieben.
Kater oder Arzttermin?
Die Situation: Gestern kam ich über eine Stunde zu spät in die Arbeit. Ich hatte verschlafen, weil ich am Abend zuvor zu lange feiern war. Meine Ausrede: ein Arzttermin. Hätte ich etwa die Wahrheit sagen sollen?
Das sagen die Experten: „Nein, auf keinen Fall“, meint Diplom-Psychologin Andrea Schaal. „Es ist hier niemandem damit geholfen, wenn Sie ehrlich sind.“ Falls Sie trotzdem nicht lügen wollen: Sie sind rechtlich nicht dazu verpflichtet, eine Begründung für Ihr Zuspätkommen abzuliefern – solange Sie sich natürlich kurz dafür entschuldigen und es nicht jede Woche vorkommt. Es geht keinen etwas an, dass Sie gestern versumpft sind.
Flunkern beim Online-Dating
Die Situation: In meinem Online-Dating-Profil habe ich mich ein bisschen größer, ein bisschen schlanker und ein bisschen spannender gemacht. Ist das wirklich schon lügen? Schließlich will ich mich möglichst gut präsentieren …
Das sagen die Experten: „Klappern gehört zum Handwerk“, beruhigt Andrea Schaal. Es ist absolut normal, dass wir uns bestmöglich präsentieren wollen und dabei auch etwas dicker auftragen. „Aber vergessen Sie nicht, dass Sie beim ersten realen Date auch liefern müssen“, warnt die Paartherapeutin. Wenn Sie zu sehr übertrieben haben, wird die Überraschung beim Treffen eher negativ. Ein paar kosmetische Flunkereien (fünf Zentimeter mehr, fünf Kilo weniger) sind aber vollkommen in Ordnung.
Lügen im Job
Die Situation: Als mein Abteilungsleiter leicht ungeduldig fragte, ob ich eine wichtige Aufgabe schon erledigt habe, sagte ich natürlich Ja. Dabei habe ich noch gar nicht damit angefangen …
Das sagen die Experten: Solche Lügen haben kurze Beine! Es sei denn, Sie können blitzschnell nachliefern. Ansonsten deutet die Ungeduld Ihres Vorgesetzten ja bereits darauf hin, dass er das Ergebnis bald sehen will. Im Job geht es meist um klar definierte Leistungen und die sind auch fast immer nachprüfbar – Sie machen sich also angreifbar. „Ein ‚Ich bin noch nicht ganz fertig‘ oder ‚Ist bis zwölf erledigt‘ kommt der Wahrheit schon etwas näher und schützt Sie vor einer Bauchlandung“, weiß Holger Lendt.
Loyalität gegenüber der besten Freundin
Die Situation: Meine beste Freundin heult sich bei mir aus, weil ihre Beziehung kriselt: Ihr Freund ist total genervt, weil sie so klammert. Darf ich ihr sagen, dass ich finde, dass er Recht hat? Oder muss ich als Freundin ihr pauschal immer zustimmen?
Das sagen die Experten: Erst einmal sollten Sie ihr voll und ganz zur Seite stehen und sie sich ausheulen lassen. Schließlich sind Sie ihre beste Freundin – nicht ihr Therapeut. „Wenn die Tränen versiegt sind, können Sie fragen, ob sie bereit ist, ein paar wahre, möglicherweise auch schmerzhafte Worte zu hören“, rät Diplom-Psychologin Andrea Schaal. Aber eben erst, nachdem sie Sie ihr gegenüber loyal erlebt hat.
Augen zu und durch?
Die Situation: Meine Schwiegermutter kocht immer mit viel Fleisch: Schweinebraten, Rouladen, Würstchen. Dabei ernähre ich mich schon lange weitgehend vegetarisch. Stoße ich sie vor den Kopf, wenn ich ihr das sage – oder muss ich da bei unseren Besuchen durch?
Das sagen die Experten: Verständlich, dass Sie es sich mit Ihrer Schwiegermutter nicht verscherzen wollen. Aber deshalb auf Dauer den vorzüglichen Braten loben, wenn es Ihnen eigentlich den Magen zusammenzieht?
Diplom-Psychologe Holger Lendt hält das für unnötig: „Sie können ihr doch erklären, warum es Ihnen wichtig ist, kein Fleisch mehr zu essen.“ So haben Sie beide die Möglichkeit, darauf zu reagieren: Entweder, sie kocht für Sie fleischlos. Oder Sie nehmen sich einfach nur von den vegetarischen Beilagen. „Beide wahren so ihr Gesicht – und Sie müssen nichts ‚schlucken‘, was Sie nicht wollen“, so Lendt.
Soziale Notlügen
Die Situation: Im Büro steht schon das zweite Mal in dieser Woche nach Feierabend der Geburtstagsumtrunk eines Kollegen an. Ich möchte einfach nur nach Hause und rede mich mit einer schon ewig ausgemachten Verabredung heraus. Bin ich eine schlechte Kollegin?
Das sagen die Experten: Eine klassische kleine, soziale Notlüge, die den Frieden wahren soll. Es tut keinem weh, wenn Sie hier einen Termin vorschützen. „Auf der anderen Seite, wäre es wirklich so schlimm, doch noch kurz mit dabei zu sein?“, fragt Diplom-Psychologe Holger Lendt. Schließlich werden gerade in so einem etwas privateren Rahmen wichtige Jobverbindungen geknüpft.
Beichten oder nicht?
Die Situation: Nach dem einen oder anderen Cocktail zu viel habe ich im Club betrunken mit einem Typen rumgeknutscht. Es hat überhaupt nichts bedeutet und ich werde den Kerl nie wiedersehen. Soll ich es meinem Freund, den ich sehr liebe , trotzdem beichten?
Das sagen die Experten: Das hängt von den „Spielregeln“ Ihrer Liebe ab. Wünscht er sich immer Ehrlichkeit? Welchen Treuebegriff hat er (nicht Sie!)? „Man sollte gut überlegen, ob man mit einer Beichte nur den Druck von sich nehmen will oder ob es wirklich um Ihren Partner geht“, erklärt Holger Lendt.
„Wollen Sie Ihr Gewissen erleichtern? Dann schweigen Sie lieber.“ Nur wenn er sehr locker ist, kann ein solches Eingeständnis klärende Gespräche nach sich ziehen, die Ihre Liebe stärken können. Und eins sollte klar sein: Dass das Rumknutschen mit dem Fremden Ihnen nichts bedeutet, stimmt nicht, wenn es Sie in Gewissenskonflikte stürzt.
Wenn der Freund daneben liegt
Die Situation: Freudestrahlend überreicht mir mein Freund an unserem ersten Jahrestag eine Kette, die viel Geld gekostet hat. Ich finde sie aber leider total hässlich und würde sie nicht einmal zum Müllraustragen anziehen. Soll ich ihm das sagen?
Das sagen die Experten: Wenn Sie nicht den Mund aufmachen, war das das erste einer langen Reihe von Geschenken, die Sie ganz unten in der Schmuckschatulle oder Schublade verstecken müssen. Andrea Schaal rät: „Seien Sie nicht enttäuscht, sondern freuen Sie sich über die Geste des Schenkens und die Wertschätzung, die damit verbunden ist!“ Indem Sie Ihrem Freund die Wahrheit sagen, helfen Sie ihm, Sie besser kennenzulernen: Gehen Sie gemeinsam zum Umtausch – und zeigen Sie ihm, was Ihnen gefällt.
Beruf und Privates trennen
Die Situation: Eine Arbeitskollegin fragt mich ständig, ob wir abends etwas zusammen unternehmen. Ich habe aber gar keine Lust auf eine freundschaftliche Beziehung zu ihr. Soll ich mich damit herausreden, einfach keine Zeit zu haben?
Das sagen die Experten: „Ständige Ablehnung tut weh, auch wenn Sie eine noch so gute Ausrede finden“, weiß Psychotherapeutin Andrea Schaal. Ihre Kollegin könnte das sehr persönlich nehmen und sich als Mensch abgelehnt fühlen. Das wird auf Dauer die Arbeitsatmosphäre belasten. Schaals Tipp: „Stehen Sie dazu, dass Sie Berufliches und Privates getrennt halten möchten. Dann sind die Verhältnisse klar und niemand fühlt sich verletzt.“
Mal nicht erreichbar sein
Die Situation: Manchmal bin ich abends so kaputt von der Arbeit, dass ich nicht einmal mehr Lust habe, mit meiner Freundin zu telefonieren. Dann gehe ich einfach nicht ans Handy – und erzähle ihr am nächsten Tag, ich hätte es nicht gehört.
Das sagen die Experten: Es ist absolut verständlich, auch mal seine Ruhe haben zu wollen. Damit Sie aber nicht jedes Mal, wenn Sie einen Anruf Ihrer Freundin ignorieren, ein schlechtes Gewissen haben müssen, empfiehlt Diplom-Psychologin Andrea Schaal, eine grundsätzliche Vereinbarung zu treffen: „Sagen Sie doch zu Ihrer Freundin: ‚Hör mal, wenn ich nicht rangehe, fühle ich mich gerade nicht danach. Ich melde mich dann bei dir!‘“ Nur so kann man sich selbst vor ständiger Erreichbarkeit schützen.
Die Freunde des Freundes
Die Situation: Mein neuer Freund stellte mich neulich seinen Kumpels vor – für mich alles infantile Poser. Ihm ist es total wichtig, dass ich mich mit ihnen gut verstehe. Soll ich trotzdem die Wahrheit sagen, wenn er mich fragt, was ich von ihnen halte?
Das sagen die Experten: Es geht nicht darum, einen ersten Eindruck zu verheimlichen, sondern darum, wirklich offen für Menschen zu sein, die meinem Partner wichtig sind. „Damit zeigen Sie ihm, dass Sie ihn wertschätzen“, erklärt Andrea Schaal. Auch wenn Sie seine Kumpels doof finden: Versuchen Sie, nicht über sie herzuziehen. Sagen Sie stattdessen, woran es liegt, dass Sie sich mit Ihnen nicht so wohlfühlen. Und dosieren Sie die Begegnungen mit seinen Freunden – das wird Ihr Liebster verstehen.
Frisch verliebt
Die Situation: Meine Freundin ist frisch verliebt und fragt mich nach meiner Meinung zum Aussehen ihres Neuen. Ich sage: „Ach, es zählen doch eh nur die inneren Werte!“ Sonst müsste ich ja zugeben, dass ich seine angehende Bierwampe alles andere als attraktiv finde.
Das sagen die Experten: Wenn sie es dabei belässt, ist die Sache mit dieser kleinen Lüge vom Tisch. „Wenn sie jedoch nicht locker lässt, Sie Ihre Meinung aber nett formulieren wollen, sprechen Sie einfach von sich“, rät Diplom-Psychologe Holger Lendt. „Sagen Sie: ‚Du weißt ja, ich hab eine große Schwäche für knackige Figuren – da bin ich als Jury echt befangen!‘“ Sie könnten auch Ihr Dilemma kommunizieren und sagen: „Ich finde es so schön, dass du verliebt bist. Deshalb möchte ich dich nicht wegen einer Geschmacksfrage in deiner Hochstimmung verletzen.“
Vorlieben vortäuschen
Die Situation: Beim ersten Date erzählte mir meine Verabredung begeistert von seiner Vorliebe für Abenteuerurlaube mit dem Rucksack. Ich behauptete, dass ich auch gerne so verreise, obwohl ich am liebsten im 5-Sterne-Hotel logiere.
Das sagen die Experten: „Sie brauchen ja selbst keine Abenteurerin sein, um einen Abenteurer zu bewundern“, so Diplom-Psychologin Andrea Schaal. „Und wer möchte nicht gerne bewundert werden?“ Flunkern ist hier also der guten Stimmung zuliebe erlaubt – das macht beim ersten Date sowieso fast jeder. Erst wenn Sie tatsächlich ein Paar werden und es um die erste gemeinsame Reise geht, müssen Sie wohl mit der Wahrheit rausrücken.