Leben mit Asexualität

Erfahrungsbericht: Wie es ist, mit dem Partner keinen Sex zu haben

Susannes* Beziehungen scheiterten über viele Jahre an ihrer Lustlosigkeit - Doch trotz ihrer Asexualität lebt sie heute eine erfüllende Partnerschaft!

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Video: Glutamat

So leben wir unsere Ehe mit Asexualität

"Sex spielte für mich nie eine Rolle, weder praktisch noch theoretisch. Als meine Freundinnen in die Pubertät kamen, stürzten sie sich auf Themen, die mich von Anfang an ge langweilt haben: der erste Kuss, Necking, so nannte man das "Fummeln" oberhalb der Gürtellinie, Petting. Die meisten Mädchen konnten es nicht ab warten, die Pille zu nehmen, es erschien ihnen als eine Art Offenbarung, Sex zu haben.

Sex gehörte für sie offensichtlich zum Menschsein wie Atmen oder Essen. Das mich das alles kaltließ, verwirrte und beschämte mich zugleich. Denn ich dachte, dass irgendetwas mit mir nicht stimmt. Heute weiß ich: Ich bin asexuell.

Asexualität gilt nicht als Störung oder gar Krankheit, sondern ist als eigenständige sexuelle Orientierung anerkannt. Bis ich das verstand und nicht mehr unter meinem Anderssein litt, sind viele Jahre ins Land gegangen, viele Tränen geflossen, und ich habe etliche Stunden mit einer Psychologin an meinem "Problem" gearbeitet.

Ich bin zu der Therapeutin gegangen, nachdem mich Paul, meine erste große Liebe, verlassen hatte. Wir kamen zusammen, als wir 18 waren. Es passte einfach, wir waren glücklich. Irgendwann war es Zeit für das erste Mal. Ich habe nichts dabei gefühlt, weder Schmerz noch Freude.

"Die Lust kommt, warte ab", hat meine beste Freundin Vera, die schon Erfahrung hatte, gesagt. Aber die Lust kam nicht. Es war nicht so, dass ich mich zum Sex zwingen musste, ich empfand keinen Ekel. Es war für mich wie Zähneputzen.

Ich fühlte kein Begehren, keine Sehnsucht und kam natürlich auch nie zum Orgasmus.

Drei Jahre hat Paul es mit mir ausgehalten, dann wollte er die Trennung. Das hat mich total aus der Bahn geworfen. Ich konnte mich nicht mehr auf mein Studium konzentrieren, stellte mich selbst total infrage, war richtig depressiv.

Die Therapeutin ging davon aus, dass es in meiner Kindheit etwas gegeben haben musste, das mich traumatisiert hat. Nach 20 Stunden Herumgedoktere in meiner Vergangenheit hatte sie immer noch nichts gefunden - das war mir von Anfang an klar. Ich habe in jeder Hinsicht nur die besten Erinnerungen an meine Kindheit. Da gab es keine sexuellen Übergriffe, die mich hätten verstören können, in meiner Familie hatte auch keine lustfeindliche Atmosphäre geherrscht. Ich brach die Therapie ab und versuchte, normale Beziehungen zu führen, mit meinen Partnern ins Bett zu gehen. Am Ende scheiterten meine Beziehungen dann doch ausnahmslos an meiner Lustlosigkeit.

Ich gab die Hoffnung auf eine erfüllende Liebe auf ...

Ich war auf dem besten Weg, mich damit abzufinden, dass mir dieser sinnliche Teil des Lebens versperrt ist. Ich gab die Hoffnung auf eine erfüllende Liebe auf und verlagerte mein Interesse auf Beruf und Freunde. Mir ging es gut. Dann traf ich Jens. Ich wusste vom ersten Moment an, dass dies eine tiefe Begegnung war, aus der eine schöne Beziehung werden konnte. Jens und ich, wir waren, wir sind echte Seelenverwandte. Von Anfang an war das Vertrauen zu Jens da. Er verkörpert das, was wir Frauen an einem erwachsenen Mann schätzen. Ich habe Jens sehr schnell reinen Wein eingeschenkt. Ich wollte ihm nicht zumuten, dass er sich an eine Frau bindet, der Sex nichts bedeutet.

Jens hat überraschend reagiert: "Okay, du bist also asexuell, meine Süße. Das ist bestimmt nicht leicht für dich. Und erst recht nicht für mich, denn ich finde dich wirklich heiß. Aber es gibt schlimmere Katastrophen."

Ich weinte vor Erleichterung. Dann haben Jens und ich uns gemeinsam im Internet schlaugemacht. Ich war erstaunt, in wie vielen Foren sich asexuelle Frauen und Männer austauschen. Ich war nicht allein!

Es klingt wie im Märchen, aber an der Seite von Jens entwickelte ich das Selbstbewusstsein, mich so anzunehmen, wie ich bin. Jens und ich haben die Nächte durchdiskutiert, uns nicht geschont. Wir wollten zusammenbleiben, wir wollten Kinder, aber wie konnte das gehen? "Wenn du aus körperlichen Gründen keinen Sex haben könntest, würde ich dich doch auch lieben", tröstete mich Jens, wenn mich die Angst überfiel, dass ich ihn verlieren könnte.

Jens und ich schmusen ständig

Jens und ich, wir hatten durchaus Sex, wenn auch sehr selten. Dabei ist unsere Tochter entstanden und später - als wir schon verheiratet waren - unser Sohn. Wir sind jetzt seit zwölf Jahren zusammen, zwischen unseren sexuellen Aktivitäten liegen manchmal viele Monate, einmal sogar fast zwei Jahre. Jens bedrängt mich nicht. Er kommt auf seine Kosten, wir schmusen ständig, wir können die Hände nicht voneinander lassen. Wir sind das harmonischste Paar, das ich kenne.

Vielleicht haben wir körperlich mehr voneinander als Ehepaare, die zweimal in der Woche ihre ehelichen Pflichten absolvieren. Meine Schwester hat mich einmal gefragt, ob ich nicht in Sorge sei, dass Jens mich betrügt. Komischerweise denke ich nicht daran. Vielleicht würde ich meinem Mann sogar zugestehen, dass er sich woanders befriedigt.

Das mit Jens ist eine ganz große Liebe, die ihre Belastbarkeit bewiesen hat. Die meisten Ehen scheitern an Sexlosigkeit. Wir haben diese Klippe hinter uns. Was soll uns schon passieren?"

* Name von der Redaktion geändert

Autor: Birgit Ehrenberg

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