Seitensprung

Ungewollt und ungeliebt: Das harte Schicksal von Kuckuckskindern

Kuckuckskinder sind Kinder, deren vermeintlicher Vater nicht ihr biologischer Vater ist, weil die Mutter sie mit einem anderen Mann gezeugt hat - und ihren Ehemann oder Lebensgefährten in dem Glauben lässt, er sei der biologische Vater. Wie sehr Kuckuckskinder unter ihrem Ursprung in einem Seitensprung leiden können, zeigt diese Geschichte des Kuckuckskindes Sophie, das sich als erwachsene Frau auf die Suche nach ihrem Vater macht.

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Kuckuckskind: „Mein Vater ist nicht mein Vater“

"Ein letzter Gang zum Standesamt. Meinem Traumberuf als Krankenschwester steht nichts mehr im Wege. Ich brauche nur noch die Abstammungsurkunde. Noch mehr La Bouche, denke ich, um in dieser wundervollen Stimmung zu bleiben. Dann schaue ich in den Innenspiegel an der Frontscheibe meines Golfs, rücke ihn zurecht. Mein Mund sieht anders aus, als der meiner Eltern, denke ich noch, wie ich insgeheim so oft darüber nachdenke, dass ich irgendwie anders aussehe.

Wissen Sie denn gar nicht, dass Ihre Eltern geschieden waren, als Sie geboren wurden?“, fragt mich die Standesbeamtin. Nach einer kleinen Offenbarung bin ich geschockt. Fahre zu meiner Tante, quetsche sie aus, bis sie ihr Schweigen bricht.

Mein Vater ist nicht mein Vater, mehr kann ich nicht denken, nachdem mir meine Tante reinen Wein eingeschenkt hat. Von einer auf die andere Sekunde wurde ich meiner Kindheit und Identität beraubt. Gleichzeitig wurde mir bestätigt, was ich immer gespürt habe. Ich bin anders als die anderen Familienmitglieder. Ich bin ein Kuckuckskind!

Kuckuckskinder kämpfen oft mit der Suche nach ihrer wahren Identität.
Kuckuckskinder sind das Ergebnis eines Seitensprungs der Mutter. Foto: iStock

Die Tochter eines Fremden

Wer ist dieser Mann, der von meiner Existenz all die Jahre wusste? Der in unserer Familie totgeschwiegen wird und der auch mich sicherlich nie erwähnt und niemals erwähnen wird? Er heißt Bence und besitzt einen Nachnamen, den auch ich eigentlich tragen sollte? Wer wäre ich, würde ich seinen Nachnamen tragen? Wer wäre ich, wäre er nicht gegangen? Hätte er mich besucht, mich in den Arm genommen, mir zum Geburtstag eine Karte geschickt oder zu Weihnachten angerufen? Wäre ich die Sophie Christina, die ich jetzt bin?

Der Wink des Schicksals

So mache ich mich 35 Jahre nach meiner Geburt mit all den Fragen, die täglich mehr werden, auf die Suche nach meinem leiblichen Vater. Ich finde heraus, dass Bence seit dem Verkauf seines Unternehmens nicht mehr in Norddeutschland lebt. Für mich ist es ein Wink des Schicksals, als kurze Zeit später in dem Krankenhaus, in dem ich eine Ausbildung zur Krankenschwester mache, eine Frau eingeliefert wird, die den äußerst seltenen Namen meines vermeintlichen Vaters trägt, von der ich schließlich die Adresse meines möglichen Vaters bekomme.

Die Fragen beantwortet wissen wollen

Noch am gleichen Tag schreibe ich ihm. Doch statt eines Briefs oder eines Anrufs bekomme ich Post von seinem Anwalt. Er lässt mir ausrichten, dass jeglicher Kontakt ausschließlich über seinen Anwalt zu erfolgen hat. Für mich ein Schlag ins Gesicht. Ich fahre kurzerhand nach Österreich, um ihn persönlich aufzusuchen. Doch was mir nun widerfährt, ist der bis dahin bitterste Augenblick in meinem Leben. Bence lässt mich eiskalt abblitzen.

Tief gekränkt nehme ich den Kampf um Anerkennung und Gerechtigkeit auf.

Ich bin der Störenfried der Familien

Ich will wissen, wer ich bin. Meine Mutter beschimpft mich, weil ich die Ruhe der Familie störe und sicherlich geht es Bence auch darum. Die Fassaden der Familien aufrecht zu erhalten, ist das wichtigste. Alle Betroffenen sind sich einig, vergessen dabei, dass ich die Hauptbetroffene bin. Ich bin das Kind, das nach der Identität sucht. Ich bin das Kind, das das verdammte Recht hat, zu wissen, wer es ist. Ich versuche, die Beweggründe beider Parteien zu verstehen. Meine Mutter ging fremd, was in der damaligen Zeit kein Nebenschauplatz in der Nachbarschaft war. Bence hat Familie. Ein Kavaliersdelikt für Männer, eine andere Frau zu schwängern. Dennoch, ein Drama innerhalb der eigenen vier Wände. Doch nach all den Jahren, in denen ich täglich präsent war, hätte doch einer der Beteiligten ein schlechtes Gewissen bekommen müssen oder einfach nur Mitleid? Stattdessen stoße ich auf Kälte und auf Sätze wie: Lass es, rühr nicht dran, stör den Frieden nicht. Auf einmal bin ich die Schuldige, nicht das Kind, das durch zwei unachtsame Menschen gezeugt wurde und ein Recht auf seine Identität hat?

Der Gesetzgeber auf Seiten der Eltern

Nachdem ich jahrelang um mein Recht gekämpft und es auch bekommen habe, kann ich mich zurücklehnen, aber nicht jedes Kuckuckskind hat das Glück, dass die Mutter den Namen des Vaters nennt. Heiko Maaß, Justizminister der Bundesregierung, hat einen neuen Gesetzentwurf  vorgelegt, dass demnach Kuckucksmütter gegenüber den Scheinvätern den wahren Vater nennen müssen, um ihnen die Gelegenheit zu geben, zwei Jahre Unterhalt zurückzufordern, allerdings besteht die Verpflichtung nicht, wenn und solange die Erteilung der Auskunft für die Mutter des Kindes unzumutbar wäre. Ich hatte große Hoffnung, dass viele, die ebenfalls auf der Suche nach ihrem leiblichen Vater sind, nun Gerechtigkeit finden. Eine Auskunftspflicht gegenüber dem Kuckuckskind besteht nicht.

Appell an die Kuckucksmütter

Kuckucksmütter sollen ihren Kindern Auskunft erteilen, wer der leibliche Vater ist. Viele nehmen dieses Wissen mit ins Grab, schweigen und kneifen ihre Lippen verbissen zusammen, wenn das Thema auf die leiblichen Väter zu sprechen kommt. Vielleicht gibt es einen Opa, eine Schwester, eine andere Familie, die Charaktereigenschaften hat, zu denen die eigenen Macken und Ticks passen? Sind es denn Macken und Ticks oder familiäre Merkmale? Warum beherrsche ich Sprachen so gut? Warum habe ich eine platte Nase, bin aber viel größer als meine Geschwister mit der langen Nase und den großen Füßen? Warum bin ich blond, habe Sommersprossen, warum bin ich dunkelhaarig und habe braune Augen? Warum, warum, warum? Diese Fragen müssen ein Ende nehmen, auch wenn sie vielleicht nie bis zum Ende beantwortet werden können.

Jede Mutter sollte sich klar darüber sein, dass ein One-Night-Stand, der nicht ohne Folgen blieb, niemals unter den Tisch gekehrt werden kann und darf, weil die Fragen im Kopf des Kindes automatisch kommen. Jede Mutter sollte wissen, dass sie ihrem Kind Leid antut, wenn sie es im Ungewissen lässt.

Das ungewollte Kind: Ich bin der Rand

Ich bin eine Trophäe aus einer Nacht. Eine Nacht, die zwei Menschen zusammengeschweißt hat und für ein Leben verband, obwohl diese beiden Menschen das verleugnen. Ich bin der Rand einer Medaille. Eine Medaille, die sich Kind nennt! Die sich andere Eltern stolz umhängen und die Geburt des neuen Erdenbürgers gebührend feiern. Ich bin der Rand, der nicht gepflegt wird, weil die traurige Medaille in der Schublade landet und nur rausgeholt wird, wenn Einsamkeit im Herzen herrscht und der Moment der Erinnerung aufgefrischt werden muss.

Ich bin die dritte Seite, die, die in die Krise geschoben wird. Die, die jeden Millimeter absucht, um Ähnlichkeiten zu entdecken. Die, die sich fragt, warum sie so verschrumpelt – geriffelt aussieht, wobei die Vorder- und die Rückseite so glänzend dastehen und nach Außen ihren Wert zeigen. Es wird mit allen Mitteln gekämpft, dass ich am Rand bleibe, damit die polierte Platte keine Schramme erhält.

Kuckuckskinder in der Krise

Der Gesetzgeber hat einmal gut erkannt, dass jeder ein Recht auf Kenntnis seiner Abstammung hat. Auf Menschenwürde und auf deren Unantastbarkeit. Warum gilt dies nicht für uns Kuckuckskinder? Der Begriff allein ist eine Schande, die es Zeit wird zu tilgen.  Im § 1592 Vaterschaft heißt es unter anderem: Vater eines Kindes ist der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist. Ach wirklich?  Ist es nicht an der Zeit, dieses über einhundert Jahre alte Gesetz zu überarbeiten und dem Kind seine wirkliche Identität zu geben?

Ich habe für mein Recht gekämpft und habe es bekommen. Mich hat all dies gestärkt. Ich brauchte lange, bis ich mich darin gefunden habe, bis ich endlich die Sophie Christina Aichinger wurde, die ich jetzt bin. Jetzt sehe ich die Sturheit meines Vaters in mir, erkenne Charaktereigenschaften, die mir vorher komisch vorkamen, die ich auch als Schwäche auslegte, als Stärke an. Ich bin ich! Ich bin nicht mehr der Rand der Medaille, ich bin der Kupferkern, der mehr wert ist als die polierte Platte.

Kuckuckskindern Mut machen

Mein Buch habe ich geschrieben um mich von dem Ballast zu befreien, aber auch um Kuckuckskindern Mut zu machen, Mut zu machen, die Suche nach der eigenen Identität nicht aufzugeben. Never give up! Es ist dein Leben und deine Identität. Ich kann mit meiner Zigarette wieder kreisrunde Kringel in die Luft pusten, am Abend, auf den Motorradtouren mit meinem Mann, auf Geburtstagen, mit Kollegen und überhaupt jeder Zeit. Ich habe mich gefunden, bin mit mir im Einklang und genieße mein Leben. Und so sollte es jedem Kind, jeder Frau und jedem Mann gehen, der den anonymen Spender seiner Lenden kennt und somit auch die Identität, der zweiten Seite der Münze.

Selbstherapie: Versuchen, zu Verzeihen

Die Entscheidung, ein Buch über meine Erfahrungen als sogenanntes "Kuckuckskind" zu schreiben, Versuchs, mit den emotionalen Auswirkungen eines jahrelangen Kampfes um die eigene Herkunft umzugehen. Aus dem Drang, sich vorwiegend belastende, aber auch erfreuliche Gedanken und Emotionen im Zusammenhang mit besagter Suche von der Seele zu schreiben, sowie dem Kennenlernen vieler weiterer Betroffener ist der Wunsch gewachsen, meine Geschichte in Buchform in die Öffentlichkeit zu tragen. war eine gute Entscheidung. Das Schreiben hat mir geholfen alles zu verarbeiten. Ich sehe es als eine Art Selbstherapie. Auch wenn es Strecken gab, indem ich am liebsten alles hingeschmissen hätte, weil es auch schmerzhaft war. Ich bin mit mir im Einklang und ich habe meinen Eltern verziehen. Somit hat meine lange Suche nach meiner Identität mehr erfüllt, als ich jemals gedacht hätte."

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Dieser Artikel ist ein Gast-Beitrag von Sophie Christina Aichinger. Sophie ist ein Kuckuckskind. Nach einer von Kälte, Ablehnung und Gewalt geprägten Kindheit erfährt sie erst im Alter von 35 Jahren, dass ihr Vater nicht ihr Vater ist. Erneut tief verletzt von den Lügen ihrer Jugend und der Erkenntnis, dass sie sich jahrelang um die Liebe und Zuneigung des falschen Mannes bemüht hat, begibt sie sich auf die Suche nach der Wahrheit. Ein jahrelanger, dramatischer Kampf um die Ermittlung ihres tatsächlichen Vaters beginnt.

Die ganze Geschichte hat Sophie Christina Aichinger in diesem Buch aufgeschrieben: Ungwollt.

Kuckuckskinder sind das Ergebnis eines Seitensprungs.
Der Roman "Ungewollt" erzählt die Geschichte eines Kuckuckskindes. Foto: Sophie Christina Aichinger

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand, Norderstedt
ISBN: 978-3-83701-502-7

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Zur Leseprobe aus "Ungewollt"

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