Erziehung

Ich habe mein Kind geschlagen – was jetzt?

Ich habe mein Kind geschlagen – was jetzt? Was Kind und Mutter oder Vater helfen kann, wenn es zu Gewalt gegen das Kind durch die Eltern gekommen ist, dazu berät hier die Diplom-Pädagogin und Systemische Familientherapeutin Marthe Kniep aus Jesteburg.

Ich habe mein Kind geschlagen – was jetzt?

Ohrfeige, Po versohlt, Schlag in den Nacken…! Es ist ein furchtbarer Moment, wenn ein Elternteil sein Kind schlägt. Und wenn ihm gleich danach klar wird: Der Schlag hat das Kind nicht „nur“ körperlich, sondern auch mitten ins Herz getroffen. Die Verzweiflung ist danach auf beiden Seiten groß. Und die Scham oder Hilflosigkeit der Eltern steht ihnen oft im Weg, jetzt passend mit der Situation umzugehen. 

Wie viele Kinder betroffen sind

Laut unterschiedlichen Studien dürfen wir davon ausgehen, dass über zehn Prozent der Kinder in Deutschland schon mal Opfer von körperlicher Gewalt durch ihre Eltern waren. Betroffen sind Kinder aus allen Schichten. Allerdings traut sich selten eine Mutter einer anderen Person von einem „Ausrutscher“ zu berichten. Dabei haben ganz viele Mütter und Väter wenigstens eine solche körperlich eskalierte Situation gegen ihre eigenen Kinder in Erinnerung. 

Die Angst vor den Reaktionen der Umwelt ist groß. Angst, Scham und Schuldgefühle führen dazu, dass die Dunkelziffer in diesem Bereich sehr groß zu sein scheint und wir weit mehr betroffene Kinder haben, als Eltern, die sich hilfesuchend dazu bekennen, dass sie ihre Kinder schlagen.   

Wenn Eltern ihre Kinder schlagen, geschieht dies oft aus Überforderung.
Wenn Eltern ihre Kinder schlagen, geschieht dies oft aus Überforderung. Foto: iStock

Warum Eltern die Kontrolle verlieren

  • In den meisten Fällen sind der Gewalt Überforderung und Hilflosigkeit vorausgegangen. Strittige Trennungssituationen, hoher Leistungsdruck, finanzielle Nöte, psychische Erkrankungen und weit mehr Gründe kann es dafür geben, dass Erwachsene die Kontrolle über sich verlieren und gegenüber ihrem Kind zu weit gehen. Resignation, Wut und Verzweiflung führen dazu, dass das schwächste Glied in der Kette leiden muss. Eine Situation, an der nur die Eltern etwas ändern können.
     
  • Es gibt aber auch immer noch Fälle, in denen ein „Klapps“ oder eine „Backpfeife“ als probate Erziehungsmethode angesehen werden. Und das, obwohl Gewalt gegen Kinder in Deutschland verboten ist. „Meine Eltern haben das bei mir auch so gemacht, und es hat mir nicht geschadet.“ ist oft die Argumentation. Aber woher diese Sicherheit? Man hat vielleicht den Weg durchs Leben trotzdem gefunden. Doch wer weiß schon, wie es ohne Schläge gelaufen wäre? Niemand sollte sich darauf verlassen, dass die Kinder es eines Tages vergessen werden. 

Kind geschlagen: Was tun, wenn es passiert ist?

Was passiert ist, kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Deshalb ist es umso wichtiger, wie anschließend mit der Situation umgegangen wird. Wichtig ist dabei die Botschaft an das Kind: „Du bist nicht schuld, dass ich dich geschlagen habe.“ Denn bei körperlicher Gewalt durch die Eltern liegt die volle Verantwortung bei den Erwachsenen. 

Sie sind die Großen, sie müssen lernen und vorleben, sich zu kontrollieren und neue Wege zu finden, wie Anspannung und Aggression respektvoll runtergefahren werden können. Und zwar auch dann, wenn das Kind richtigen Mist gebaut hat, die Eltern zuerst attackiert hat oder richtig gemein war. 

Das heißt konkret, dass betroffenen Eltern nach einer Eskalation und wenn etwas Ruhe eingekehrt ist auf das Kind zugehen müssten und sich entschuldigen. Nicht umgekehrt. 

Zum Beispiel so: „Ich habe mich wahnsinnig über dich geärgert. Aber dass ich dich deswegen geschlagen habe, war falsch. Bitte entschuldige. Ich hoffe, dass du mir verzeihst. Und ich werde mich darum kümmern, dass das nicht wieder passiert.“ Dieses Versprechen sollte dann unbedingt eingehalten werden. 

Optimal wäre ein Gespräch darüber, wie sich die Anspannung aufgebaut hat und an welchem Punkt das Fass übergelaufen ist. Und zwar nicht mit einer Argumentation im Sinne von: „Du hast aber auch…!“ Sondern um gemeinsam zu überlegen, was man tun kann, damit sich so eine Situation nicht wiederholt. Um darüber sprechen zu können, müssen sich aber alle erst mal richtig „abgedampft“ haben. 

Wichtig! Das Kind nicht zum Schweigen verpflichten

Und noch etwas ist wichtig: Eltern dürfen ihr Kind nicht zum Schweigen über die Tat verpflichten. Das setzt Kinder unter Druck und nimmt ihnen die Möglichkeit, sich hilfesuchend an andere zu wenden. Als Geheimnisträger hätten hilfesuchende Kinder das Gefühl, ihre Eltern verraten zu müssen, wenn sie anderen von ihrer Not berichten. Und das ist für Kinder eine zu hohe Belastung. Sie reagieren darauf nicht selten mit psychosomatischen Beschwerden oder Impulsausbrüchen gegenüber anderen Kindern und Erwachsenen. 

Kinder wissen instinktiv, dass sie darüber nicht mit jedem sprechen können. Vertrauen sie sich jemandem an, sollten Eltern verständnisvoll reagieren. Zum Beispiel so: „Ich kann verstehen, dass dir das auf der Seele lag und du mit jemand anderem darüber sprechen wolltest.“ Dass man sich als Eltern deswegen schlecht fühlt, ist nicht die Schuld des Kindes. 

Behält das Kind einen „Schaden“?

Eltern machen Fehler. Das ist das Los von Eltern. Doch es ist wichtig, dass man mit dem eigenen „unperfekten“ Teil verantwortlich umgeht. Es passiert nun mal leider, dass man in bestimmten Momenten durchdreht. Doch es darf nicht so stehen bleiben. Das Kind muss möglichst schnell nach dem Vorfall die Erfahrung machen und die Erklärung bekommen, dass es den Eltern ernst ist mit ihrer Entschuldigung und dass die Schuld nicht an dem Kind hängen bleibt. Das muss der Elternteil übernehmen, dem es passiert ist. 

Kann die Situation durch so ein Gespräch gut aufgefangen werden, wird das Kind die Situation vielleicht nicht vergessen. Aber es kann je nach empfundener Schwere der Tat mit der Zeit wieder Vertrauen zu den Eltern finden. Denn Kinder möchten ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern haben und sind dafür oft bereit, sogar schlimme Dinge zu verzeihen. Wo Eltern und Kind nicht wieder gut zusammenfinden, ist professionelle Hilfe unabdingbar. Denn manches können Kinder einfach nicht allein verarbeiten. 

Damit nach einem körperlichen Übergriff der Eltern das kindliche Vertrauen wieder wachsen kann, darf sich die Gewalt natürlich nicht wiederholen. Sonst machen sich Eltern unglaubwürdig und das Kind würde durch weitere körperliche Übergriffe die Erfahrung machen, dass Erwachsene eh nicht halten, was sie versprechen und dass man bei ihnen nie sicher sein kann. Aber genau das brauchen Kinder jetzt: Sicherheit bei den Eltern. 

Was, wenn sich Schläge wiederholen?

Gelingt es Eltern, nach einem guten Gespräch das Miteinander wieder ins Gleichgewicht zu bringen, ist viel gewonnen. Kommen Eltern jedoch aus ihrer Belastungssituation nicht aus eigener Kraft heraus, bleibt die Eskalationsgefahr hoch. Wiederholen sich dann Schläge, ist es unbedingt nötig, sich Hilfe zu holen. Andernfalls riskieren sie, das Vertrauen der Kinder zu verlieren. Die Kinder können sich in einem Umfeld nicht gut entwickeln, in dem Angst vor Gewalt ständig im Raum steht. 

Die beste Möglichkeit ist immer, sich aktiv und schnell um Hilfe zu bemühen, bevor andere auf die Missstände zu Hause aufmerksam werden und diese melden. Sickert nämlich im Umfeld bei Freunden oder der Schule durch, dass Gewalt in einer Familie an der Tagesordnung ist, kann dies von jedem Bürger direkt an das zuständige Jugendamt übermittelt werden. Oder die Polizei wird alarmiert und leitet den Vorfall an das Jugendamt weiter. 

Das Amt wird dann Kontakt mit der Familie aufnehmen und eine sogenannte „Kindeswohlgefährdung“ prüfen. Mit fachlicher Hilfe wird dann versucht, eine Veränderung zu erreichen, damit die Kinder möglichst bei ihren Eltern bleiben können. Wird die Gefährdung bestätigt, ist zum Schutz der Kinder eine (vorübergehende) Herausnahme der Kinder aus der Familie möglich. Zumindest solange, bis Eltern glaubhaft vermitteln können, dass sie an ihrer Situation gearbeitet und etwas zum Positiven verändert haben. 

Wie (weiteren) Eskalationen vorgebeugt werden kann

Eskalationen ergeben sich oft dadurch, dass es wenigstens einem Familienmitglied nicht gut geht. Kinder lassen sich das als erste anmerken, wenn sie sich zum Beispiel nicht mehr „zusammenreißen“ können, nörgeln, zappeln, provozieren. Hier gilt es für Eltern ein besseres Gespür dafür zu entwickeln, was das Kind zu welchem Zeitpunkt braucht. Oft sind es: 

  • Essen 
  • Trinken 
  • Ruhe 
  • Schlaf 
  • eine Pause 
  • ein offenes Ohr
  • eine Umarmung 
  • Bewegung 
  • Zeit zu spielen

Unser Alltag ist meist viel zu voll, um dem Kind durchgehend diese Grundbedürfnisse zu erfüllen. Deshalb sollten vor allem gestresste Eltern darauf achten, alles zu streichen, was den Terminplan unnötig füllt. Weniger ist manchmal mehr. Und Regelmäßigkeit im Tagesablauf ist wichtig. Wie oft beruhigen sich aufgebrachte Kinder, wenn man ihnen ein Brötchen gibt, sie auf den Schoß nimmt, eine Pause einlegt und ihnen zuhört, was sie gerade so sehr beschäftigt, dass sie „nicht folgen“ können! Damit das gelingt, müssten natürlich auch die Eltern ihre eignen Bedürfnisse im Blick haben und dafür sorgen, dass es ihnen selber gut geht. Dann fällt es meistens viel leichter, sich dem Kind so zuzuwenden, wenn es hilfreich ist. Manchmal braucht es auch dafür professionelle Hilfe. 

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Überforderte Familie: Wo es Hilfe gibt

  • Es gibt ein bundesweites Netz an Familienberatungsstellen, die in den meisten Fällen ihre Beratung kostenlos anbieten und eine Familie auch längerfristig begleiten können.  

  • Familientherapeuten können gemeinsam mit der Familie nach Lösungen suchen, wie die Familie aus der alten Gewaltspirale herauskommt und wie stattdessen miteinander umgegangen werden kann.  

  • Auch die Verarbeitung erlittener Gewalt in einer Therapie ist sehr hilfreich. Ob es ein Familientherapeut oder ein Kinder- und Jugendlichenpsychiater oder Psychotherapeut ist, hängt von der Situation vor Ort ab und vom „guten Draht“ zu der entsprechenden Person. Viele der Angebote für Erwachsene, die von den Krankenkassen übernommen werden, sind jedoch überlaufen und lange Wartezeiten Realität.   

  • Auch das Jugendamt (ASD) hat unterschiedliche Angebote, einer Familie „Hilfen zur Erziehung“ im Alltag zu ermöglichen. Viele Familien erleben dies als große Unterstützung, obwohl sie oft vorher skeptisch waren, was das Jugendamt betrifft. Auch hier ist wieder wichtig: Rechtzeitig kommen, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Freiwillig Hilfe zu beantragen fühlt sich dann bei aller Scham trotzdem besser an, als wenn eine Anzeige im Raum steht.  

Was Eltern immer bedenken sollten, wenn sie Hilfsangebote suchen: Die Situation hat sich meist über einen langen Zeitraum aufgebaut. Deshalb braucht auch ein Veränderungsprozess seine Zeit. Von einem einzigen Termin in einer Beratungseinrichtung allein ist es selten getan. 

Für die gute Beziehung ist es jetzt wichtig, dem Kind durch aktives Handeln deutlich zu machen: „Mama und (wenn vorhanden auch der Papa) arbeitet jetzt daran, dass das nicht wieder passiert. Dafür nehmen wir uns jede Woche Zeit und gehen zu einem Fachmann, der uns dabei hilft. Wir möchten nämlich auch, dass hier keiner mehr gehauen wird und wir uns wieder besser verstehen.“ 

Fühlen Sie sich gerade angesprochen? Dann warten Sie nicht, sondern beginnen Sie damit, etwas zu verändern. 

Das müssen Sie nicht allein schaffen, auch wenn Sie das manchmal glauben. Es gibt viel Hilfe und viele Menschen, die sich ohne Vorwürfe ein Ohr für Sie nehmen! Dort anzurufen oder hinzugehen ist der erste Schritt. Und mit dem beginnt bekanntlich jede Reise …

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