Minimal Fashion-Experiment: Geständnisse eines Mode-Opfers
Ich bin ein echtes Fashion-Victim. Mode ist meine Droge und wie wohl jede Süchtige bin ich hin und hergerissen zwischen meinem schlechten Gewissen und Schuhen. Und Kleidern. Und Blusen. Und Jeans. UND Handtaschen... Aber wisst ihr was? Ich steh jetzt einfach dazu und ich verrate auch, warum.
„Mode ist vergänglich. Stil niemals.“ Das sagte zumindest Coco Chanel und die heutigen Trend-Bewegungen scheinen ihr eindeutig recht zu geben: Minimalismus, Fair Fashion, Nachhaltigkeit und bewusster Mode-Konsum stehen hoch im Kurs. Fast Fashion war gestern – die Zukunft lautet „Capsule Wardrobe“.
Ganz ehrlich: Ich finde die Vorstellung, mein Kleiderschrank würde nur aus 12 Teilen bestehen, die alle auf unfassbar tolle und coole Art miteinander kombinierbar sind, traumhaft. Immerhin würde ich dann mal die Kleiderschranktüren ohne einen Ringkampf zubekommen und könnte meine Wohnung betreten, ohne gegen Schuhkartonstapel zu laufen… So weit der Traum – die Realität sieht anders aus.
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Finde! Deinen! Eigenen! Stil!
Die meisten Ratgeber für eine „Capsule Wardrobe“ fußen auf dem Prinzip „Eigener Stil“. Rumms – ich fühle mich, als wäre ich aufgeregt und voller Begeisterung auf dem Weg ins Mode-Mekka einfach gegen die Garagenwand gefahren. Ich habe keinen Stil. Meine Fashion-Freiheit hat keinen Rückwärtsgang! Denn genau das ist es, was mir an Mode so unglaublich viel Spaß macht: Ich kann mich jeden Tag so kleiden wie ich mich fühle und mich einfach neu erfinden, wenn mir der Sinn danach steht. Mode lockt mich nicht nur, sie ermutigt mich - einen ehemals sehr introvertierten Menschen, der auch heute das Selbstbewusstsein nicht gerade mit Löffeln gefressen hat - nach außen zu tragen was mir gefällt und wie ich mich fühle. Durch meine modischen Experimente lerne ich, ich selbst zu sein und damit zu leben, dass anderen auch oft nicht gefällt, was sie sehen (Stichwort Ugly Dad Sneaker). Mittlerweile schaffe ich es, das Haus zu verlassen, ohne meinen Freund zehn Mal zu fragen: „Geht das so?“ Ok, zugegeben, es ist auch ein bisschen sein Verdienst. Denn da mich bei vier von fünf Outfits vernichtende Kritik getroffen hat, habe ich nach dem Motto „Friss oder stirb“ gelernt, etwas, das ich schön finde, auch weiter schön zu finden, wenn es jemand anderem nicht gefällt.
Marie Kondo: Ist Einsicht der erste Schritt zur Besserung?
Einsicht (oder eine kleine aktivistische Schwester) ist der erste Schritt zu Besserung: So sagt man. Dass mich viele Menschen wegen meines Modewahns für völlig bescheuert halten, weil sie einfach mein Interesse und meine Begeisterung nicht nachvollziehen können, ist mir ehrlich gesagt (auch als Vegetarierin) total wurscht. Aber: Ich gebe mein Bestes, ein guter Mensch zu sein. Massenhaft Kleidung zu konsumieren, deren Produktion durch das Leid von Menschen, Tieren und der Umwelt ermöglicht wird, passt weder zu meiner Persönlichkeit noch in mein Selbstbild. An dieser Stelle kollidiert das Konzept Selbstausdruck durch Mode nicht nur mit den harten Fakten der Fashion-Industrie, sondern auch mit sich selbst (womit wir wieder bei einer Capsule Wardrobe und bei Marie Kondo wären…). Das klingt jetzt nach einem Dilemma, ist es aber nur bedingt, denn sich selbst findet man oft nur, indem man sich an den äußeren Umständen, den Fakten und den Meinungen anderer reibt. Das Leben ist nun mal nicht ganz schwarz oder ganz weiß... Ich für meinen Teil habe beschlossen, weder meine Liebe zu Mode noch meine moralischen Ansprüche an mich selbst aufzugeben. Klingt ebenfalls nach einem unrealistischen Traum? Ist es nicht. Und an diesem Punkt hat mir Marie Kondo sogar tatsächlich geholfen (wobei sie mit meiner Auslegung ihrer Philosophie vielleicht nicht ganz einverstanden wäre) – mein Kleiderschrank ist knallvoll (auf die Sache mit den Schuhkartons gehe ich jetzt besser nicht näher ein), aber egal, welches Teil ich herausziehe: Ich liebe es! Tja, was sagst Du dazu, Marie?
Ansichten eines Mode-Opfers
Das Problem ist, dass weder eine minimalistische Capsule Wardrobe noch Ordnung à la Marie Kondo zu mir passen. Fast Fashion und egoistischer, unreflektierter Kleidungskonsum allerdings ebenso wenig. Ich habe mich also für einen Mittelweg entschieden: Ich shoppe weiter, was das Zeug hält – allerdings nach strikten Kriterien: In meinen Kleiderschrank kommt nur, in was ich mich wirklich verliebe. Dabei ist Qualität das oberste Gebot und nach Möglichkeit auch eine faire und nachhaltige Herstellung. Kurzschlusskäufe gibt es bei mir nicht – bevor ich adoptiere wird in dissertationsartiger Intensität darüber reflektiert, ob der Neuzugang oft, in vielen verschiedenen Kombinationen und am besten auch jahrelang getragen werden kann. Und ja, an dieser Stelle ziehe ich auch die Meinung anderer zu Rate. Die meisten ergreifen in so einem Fall allerdings recht schnell die Flucht, weil sie einfach nicht nachvollziehen können, warum die Überlegung, ein Paar Schuhe zu kaufen oder nicht, die Ausmaße einer existenzialistischen Abhandlung annehmen kann. Entscheidend ist dann am Ende also doch mein eigenes Gefühl. Unterm Strich shoppe ich mit diesen Richtlinien nicht einmal mehr halb so viel, wie noch vor ein, zwei Jahren. Ich mache also durchaus Schritte zur "Besserung".
Ist das die perfekte Lösung? Mit Sicherheit nicht, aber es ist meine beste Lösung zu diesem Zeitpunkt und ich entscheide, dass mein Bestes erstmal gut genug ist.
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Schluss mit Selbst(über)optimierung: "Warum Marie Kondo bei mir Hausverbot hat"