Feminismus & Internalisierte Misogynie

Von der Beschuldigten zur Heldin: Gina-Lisa Lohfinks mutiger Weg im Kampf gegen Gewalt

Gina-Lisa Lohfink wurde juristisch und öffentlich verurteilt - dabei hat ihr Mut Frauen eine Stimme gegeben und die Gesetzeslage für Opfer sexueller Gewalt verbessert.

Gina-Lisa Lohfink lacht herzlich, den Blick nach unten gerichtet.
Foto: IMAGO / brennweiteffm
Auf Pinterest merken
Trigger-Warnung

Der folgende Artikel behandelt das Thema Vergewaltigung und Sexuelle Gewalt.

Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" - erreichbar unter der Telefonnummer 116 016 - bietet Betroffenen die Möglichkeit sich zu jeder Zeit anonym, kompetent, sicher und barrierefrei beraten zu lassen. Qualifizierte Beraterinnen stehen den Hilfesuchenden vertraulich zur Seite und vermitteln sie bei Bedarf an Unterstützungsangebote vor Ort, etwa an eine Frauenberatungsstelle oder ein Frauenhaus in der Nähe.

2012 ereignete sich einer der bekanntesten und kontroverstesten Sexualstrafrechts-Fälle in Deutschland: Gina-Lisa Lohfink beschuldigte zwei Männer, sie gegen ihren Willen bei nicht-einvernehmlichem Sex gefilmt und das Video im Internet verbreitet zu haben.

Der Beginn einer medialen und politischen Schlammschlacht, die vor allem eins zeigte: Wie wenig Möglichkeiten Opfer sexueller Gewalt im Rahmen des damals bestehenden Sexualstrafrechts in Deutschland hatten.

Vom Opfer zur Beschuldigten zur Heldin

Das deutsche Sexualstrafrecht wurde reformiert: Seit dem 10. November 2016 ist „Nein heißt nein“ im Strafbuch verankert - Gina-Lisa Lohfink war dafür ein maßgeblicher Faktor, was sie zur Heldin für Opfer sexueller Gewalt macht.

§ 177 StgB stellt sexuelle Handlungen unter Strafe, die unter Zwang, durch Gewalt oder ohne Einwilligung vorgenommen wurden.

Die wesentliche Änderung: Es müssen nicht länger Gewalt oder Drohungen nachgewiesen werden. Erfolgt die sexuelle Handlung gegen den erkennbaren Willen (wie ein „Nein“), ist der Strafbestand grundsätzlich erfüllt.

Damit ist die sexuelle Selbstbestimmung zumindest im Strafgesetzbuch besser geschützt. Ein Funken Hoffnung für Opfer sexueller Gewalt, zumindest vor Gericht bessere Chancen zu haben…

Wie alles begann

Gina-Lisa Lohfinks Fall beginnt am 1. Juni 2012: Das Model verbrachte eine Partynacht in Berlin mit zwei Männern, die die in eine sexuelle Begegnung mündete. Während dieser Nacht filmten die Männer immer wieder mit ihren Handys - ohne Gina-Lisas Zustimmung.

Gina-Lisa erstattet über ihren Anwalt Anzeige – zunächst wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts: Die Männer hatten sie nicht nur gegen ihren Willen gefilmt, sondern das Bildmaterial auch diversen deutschen Medien (Verlagen und TV-Sendern) wie der „Bild“-Zeitung zum Kauf angeboten.

Anwalt Heiko Klatt versucht, eine Verbreitung des Film-Materials zu verhindern. Erfolglos. Das Internet ist schneller als die Ermittlungen: Die Videos von Gina-Lisa verbreiten sich rasant.

Am 13. Juni wendet sich Klatt erneut an die Staatsanwaltschaft: Gina-Lisa Lohfink sei Opfer einer Betäubung durch K.-o.-Tropfen und einer anschließenden Vergewaltigung geworden.

Erst jetzt werden die Wohnungen der Beschuldigten durchsucht und die Handys beschlagnahmt.

Keine Beweise für eine Vergewaltigung?

Die beschuldigten Männer bestritten die Vorwürfe. Die ermittelnde Kripobeamtin und in der Folge auch das Gericht kamen zu der Auffassung, dass Gina-Lisas „Nein“ und „Hör auf“, das auf den Videos klar hervorging, sich nur auf das Filmen, nicht aber auf die sexuellen Handlungen an sich bezog. Zudem sei Gina-Lisa auf den Videos auch zu sehen, wie sie sich durch die Wohnung bewegt, tanzte, sang und einen der Männer küsste. Möglicherweise entsprechen Teile der Aufnahmen (die im Zeitraum von etwa 12 Stunden gemacht wurden) nicht den gängigen Vorstellungen eines Opfers sexueller Gewalt - macht das alles andere, was eindeutig auf den Aufnahmen zu sehen ist, wertlos? Die Worte von Gina-Lisas Anwalt lassen zweifeln, wie Emma zitiert, beschreibt er Sequenzen des Filmmaterials so: „Man sieht eine Frau, die regungslos daliegt und einen jungen Mann, der in sie reinhämmert.“ Auch die lückenlose Transkription des Filmmaterials bei der „Bild“ lässt vieles erahnen, aber sicher keine Frau, die den Sex, der stattfindet, will oder gar genießt...

Ein Gutachten, das aufgrund der Videoaufnahmen erstellt wurde, schädigte Lohfinks Fall ebenfalls maßgeblich: Es schloss auch die Betäubung mit K.-o.-Tropfen aus.

Das Ergebnis: Gina-Lisa wurde ihrerseits wegen falscher Verdächtigung angeklagt und 2016 zu Geldstrafe von 20.000 Euro verurteilt. Das Gericht sah den Tatbestand einer Vergewaltigung als in Gänze widerlegt an. Gina-Lisa legte vergeblich Berufung ein.

Ein unperfektes Opfer oder eine unbequeme Wahrheit?

Öffentlich blieb vor allem das Urteil gegen Gina-Lisa hängen. Eine Frau, die zwei Männer zu Unrecht beschuldigt hat.

Eine böswillige Frau, die vollkommen unschuldige Männer zu Unrecht beschuldigt hat, obwohl nichts passiert ist? Vermeintlich war es so, obwohl die Fakten eine andere Sprache sprechen. Auch die beiden Männer mussten sich vor Gericht verantworten und wurden wegen der unerlaubten Verbreitung des Videos zu Geldstrafen verurteilt – die des einen Täters war im Übrigen höher als die Strafe, die Gina-Lisa auferlegt wurde. Nur bildet die Medienlandschaft diese Tatsache kaum ab. Im Fokus steht Gina Lisa, das „falsche Opfer“…

Dabei ist sie zumindest in Bezug auf das Filmen und Verbreiten der Videos gegen ihren Willen definitiv und juristisch bestätigt Opfer einer Straftat geworden. Da die Videos so oder so sexuelle Handlungen enthielten, ob einvernehmlich oder nicht, ließe sich hier fernab von juristischer Terminologie durchaus darüber streiten, inwieweit das nicht durchaus auch als eine Art psychischer sexueller Übergriff eingestuft werden könnte.

Aber wo beginnt sexueller Missbrauch?

„Vergewaltigung, das ist so ein großes Wort“ - „Wie nennt man das, wenn man Sex nicht will?“ - fragt Gina-Lisa laut Protokoll in ihrer Vernehmung bei der Polizei, 5 Monate nach der Anzeige.

"Das war eine andere Gina gewesen"

Gina-Lisa war kein perfektes Opfer und sie ist keine perfekte Heldin – aber sie hat die Lage für alle Frauen (und generell Opfer sexueller Gewalt) in Deutschland entscheidend verändert.

Die Tatsache, dass in diesem Fall sogar ein auf Video festgehaltenes „Nein“ oder ein „Hör auf“ juristisch nicht als ausreichender Widerstand galten, wurde von Frauenrechtsorganisationen aufgegriffen und schließlich auch von Politikerinnen, wie der damaligen Familienministerin Manuela Schwesig genutzt, um eine Verschärfung der Gesetze im Sexualstrafrecht zu fordern.

Der Fall wurde zum Katalysator, Gina-Lisa wurde zur Ikone der „Nein heißt Nein“-Bewegung – ein unperfektes Opfer, das auch vor dem damaligen Hintergrund der Vorkommnisse in der Silvesternacht in Köln öffentlichen Druck erzeugte, der den Gesetzgeber schließlich zu einem sofortigen Handeln, einer Reform des Sexualstrafrechts zwang.