Plötzliche Sex-Szenen im TV! Wie erkläre ich das meinen Kindern?
Eine Liebesszene im Fernsehen kann für Kinder und Eltern zu unangenehmen Momenten führen. Eine Expertin gibt Tipps, wie du richtig reagieren kannst.
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Wenn die Kinder größer werden, steigt das Risiko, Liebes,- oder Sexszenen im Fernsehen gemeinsam zu sehen, signifikant an. Ganz gleich, ob in Klassikern wie "Titanic" oder in einem Disney-Film mit sich küssenden Hunden: Liebesszenen beim gemeinsam Fernsehabend können für Kind und Eltern unangenehm sein – müssen es aber nicht. Familiencoachin Julia Mensing hat sechs Tipps, wie du richtig reagierst und der gemeinsame Filmabend trotz Sex- und Kussszenen nicht zum peinlichen Erlebnis wird.
1. Erklären, was man sieht und nicht schweigen
Dir wurden früher die Augen zugehalten, wenn sich zwei Menschen auf dem Bildschirm küssten? Oder eine Liebesszene wurde einfach ausgesessen und geschwiegen? Es ist verständlich, dass Eltern mit einer solchen Situation erstmal überfordert sind. "In solchen Momenten ist es dennoch wichtig, nicht panisch den Fernseher auszuschalten oder beschämt zu reagieren – oder gar zu schweigen", erklärt Julia Mensing. "Kinder spüren nämlich sofort, wenn Erwachsene ,komisch' werden."
Das Problem: "Wenn wir den Fernseher hektisch ausschalten, lachen oder gar wütend das Kind anfahren, weil wir uns vielleicht „ertappt“ fühlen, vermitteln wir dem Kind, dass wir etwas verheimlichen", so Mensing. Und Geheimnisse sind bekanntlich in keiner Beziehung förderlich. "Durch das indirekte Verheimlichen geben wir der Sache viel zu viel Raum."
Stattdessen ist wichtig, ruhig zu bleiben und auf das Kind einzugehen, etwa: "Die beiden Menschen lieben sich sehr und so zeigen Menschen auch ihre Liebe." Somit normalisieren wir die Liebesszene.
2. Auf die Reaktion des Kindes eingehen
Ausrufe deines Kindes wie "Igitt", "Ihhh" oder ein Kichern, wenn sich zwei Menschen küssen oder Sex haben, sind völlig normal. "Es spiegelt die Unsicherheit des Kindes wieder und zeigt, dass es in diesem Moment etwas beschämt ist", erklärt Julia Mensing. "Eltern sollten dann den Raum öffnen und dem Kind diese Gefühle zugestehen, aber auch erklären, dass man Liebe auf unterschiedliche Weisen zeigen kann."
Die Reaktion des Kindes sollte nicht einfach abgetan oder ignoriert werden. "Besser ist es, Fragen zu stellen, wie: ,Was ist denn daran ekelig, wenn zwei Menschen sich küssen?´"so Mensing. Gleichzeitig sollten Eltern Verständnis zeigen. "Einen Zungenkuss sehen Kinder in der Regel selten bei ihren Eltern", so Mensing.
3. Fragen beantworten
Beim gemeinsamen Familienabend vor dem Fernseher kann es auch sein, dass dein Kind direkte Fragen stellt (je nach Alter), etwa: "Was machen die da?", "Wieso küssen die sich so doll?" oder "Warum liegen die nackt aufeinander?"
"Wichtig ist, auf Fragen erstmal überhaupt zu reagieren", rät Expertin Julia Mensing.
Mögliche erklärende Sätze sind:
"Die beiden Menschen lieben sich sehr und zeigen das auch anderen Menschen."
"Menschen zeigen ihre Liebe füreinander auf unterschiedliche Weise, manchmal auch nackt oder durch eine Umarmung."
"Wenn man sich richtig verliebt, dann gibt es auch noch unterschiedliche Arten von Küssen. Das kann ungewohnt für dich aussehen."
4. Vielfalt selbstverständlich machen
Es ist nicht nur wichtig, Sex und alles, was damit zusammenhängt, dem Kind selbstverständlich zu machen, sondern auch Vielfalt nicht als Sonderfall, sondern als natürlichen Teil der menschlichen Erfahrung, darzustellen. Doch wie erklärt man seinem Kind am besten gleichgeschlechtliche Liebe?
Julia Mensing schlägt vor: "Wenn ein Kind überrascht oder fragend reagiert, weil es z. B. zwei Männer oder zwei Frauen küssen sieht, kann man ruhig und selbstverständlich sagen: ,Die beiden lieben sich genauso wie Mama und Papa sich lieben. Manche Menschen verlieben sich in jemanden vom gleichen Geschlecht. Das ist genauso schön.'"
An dieser Stelle ist es ebenso wichtig, Raum für Fragen zu lassen. "Das Kind sollte aber auch nicht überfordert werden indem Eltern einen kompletten Vortrag über Diversität halten", rät Mensing. "Das Kind gibt mit den Fragen das Tempo vor und Eltern stehen mit den Antworten wertfrei und offen an der Seite des Kindes."
5. Frühe, altersgerechte Aufklärung
Ab einem Alter von vier Jahren entdecken sich Kinder bereits selbst. Füher oder später stellt dein Kind dir Fragen wie "Wie kommt das Baby in den Bauch?", "Warum haben Jungs einen Penis und Mädchen eine Scheide?"
Während das Thema Aufklärung früher (also in den 90er Jahren und noch davor) noch stiefmütterlich behandelt wurde, gilt heute: "Bei diesem Thema gibt es momentan eine ganz klare, wissenschaftlich gestützte Erklärung: So früh wie möglich aber altersgerecht", erklärt Julia Mensing."
Das bedeute aber nicht, so Mensing, dass Eltern Angst haben müssen, dass ein Kind nach einer Liebesszene ein komplettes Aufklärungsgespräch einfordere. Das sei auch nicht nötig, denn Aufklärung sei ein schrittweiser komplexer Prozess, bei dem sich Eltern an den Fragen des Kindes orientieren können. "Das legt auch den Grundstein dafür, dass mein Kind das Gefühl bekommt, mit all seinen Fragen zu mir kommen zu können", so Mensing.
Sexualität ist schließlich mehr als nur Biologie. Es geht um Gefühle, Körpergefühle, Grenzen, Diversität und auch Beziehungen. "Natürlich ist das für ein Kleinkind erstmal alles überfordernd aber man kann es gut dosiert früh genug beginnen", so die Expertin. "Das klassische ,Aufklärungsgespräch' ist veraltet."
Aufklärung beginnt z.B. schon mit der richtigen Benennung der Geschlechtsteile. "Je früher Kinder ihre Geschlechtsteile richtig benennen können, desto eher sind sie auch in der Lage, zu sagen, wenn z.B. ihre Grenze überschritten wurde", erklärt die Familiencoachin. "Das ist essenziell gerade im Hinblick auf Missbrauch."
6. Sich Zeit nehmen
Gerade bei Fragen, bei denen wir nicht direkt eine Antwort haben, neigen wir dazu, zu sagen: "Das erklär ich dir, wenn du größer bist" oder "Weiß ich jetzt nicht." Denn Eltern neigen dazu, dass sie denken, Kinder verlangen sofort Antworten.
Oft tun Eltern Fragen ab, weil sie in dem Moment überfordert sind. "Oder sie erzählen gerade im Hinblick auf Sexualität Geschichten, die einfach nicht stimmen", sagt Julia Mensing. (Wie z.B.: "aus einem Samen in Mamas Bauch ist ein Kind gewachsen, ähnlich wie eine Blume oder wenn man sich ganz doll liebt entstehen Babys). Daher ist es wichtig, sich Zeit zu nehmen.
Wer nicht direkt auf eine Frage des Kindes eine Antwort hat, darf das also genau so sagen, rät Mensing, wie z.B.
"Darauf habe ich gerade keine Antwort, aber lass uns das gemeinsam rausfinden, indem wir jemanden fragen / Literatur zu Rate ziehen / das Internet befragen."
"Schatz, ich möchte überlegen, wie ich dir das erkläre und sage dir später Bescheid."
Eltern machen auf diese Weise den Prozess der Wissensbeschaffung sichtbar und zeigen sich offen, anstatt Unangenehmes einfach abzustempeln.
Julia Mensing appelliert daher an alle Eltern: "Traut euch, dem Kind ehrliche Antworten auf seine Fragen zu geben, altersgerecht verpackt und zu einem Zeitpunkt, in dem ihr auch die Ruhe und die richtigen Worte finden könnt."







Julia Mensing ist ausgebildete Familiencoachin auf selbstständiger Basis und arbeitet nebenbei im Familienzentrum Vennmühle. Ihr Fokus ist die bindungs- und bedürfnisorientierte Erziehung mit Klarheit und Herz. "Bedürfnisorientiert heißt für mich nicht, dass immer alles harmonisch laufen muss – sondern dass wir versuchen, die echten Bedürfnisse hinter dem Verhalten zu verstehen. Von Kindern und genauso von uns Erwachsenen."
Mehr Informationen zu Julia und ihren Angeboten findest du unter: https://www.juliamensing.de/
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