Symptome, Behandlungsmöglichkeiten & Ursachen

ADS oder ADHS bei Kindern: Was ist der Unterschied?

ADHS und ADS sind neurologische Entwicklungsstörungen. Wo genau die Unterschiede liegen und woran sie sich erkennen lassen, erklärt eine Expertin.

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ADHS und ADS sind eine neurologische Entwicklungsstörung, die in ihren Ausprägungen vielfältig sein kann. Bei beidem sind hirnorganische Prozesse, die für Aufmerksamkeit, Handlungsplanung, Problemlösung sowie Impulskontrolle zuständig sind, gestört.

Etwa 500.000 Kinder und Jugendliche im Schulalter zählen zu den ADHS-Patienten. Wie sich ADHS und ADS bei Kindern genau unterscheiden und äußern, wie die Behandlungsmethoden aussehen und wie du als Mutter oder Vater dein Kind unterstützen kannst, erklären wir in diesem Artikel mit Prof. Dr. Sarah Hohmann, Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und –psychosomatik des Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE).

Das ist der Unterschied zwischen ADHS und ADS

Die Hauptunterschiede von ADHS und ADS sind folgende:

  • ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) ist eine Spektrumstörung und keine Krankheit. Das heißt, sie tritt in unterschiedlichen Ausprägungen und Kombinationen auf.

  • ADS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom) wird häufig als eine Variante der ADHS gesehen, bei der die Symptome der Hyperaktivität und Impulsivität weniger ausgeprägt sind als bei der ADHS. ADS steht für Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom.

Was genau ist ADHS?

ADHS steht für "Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung", im Englischen "Attention Deficit Hyperactivity Disorder" (ADHD). Ein ADHS-Gehirn kannst du dir wie einen Computer vorstellen, bei dem zu viele Programme gleichzeitig geöffnet sind.

ADHS betrifft Kinder (und Erwachsene) mit Verhaltenssymptomen. "Bei ADHS liegt nach ICD 10* klassischerweise ein Symptomenkomplex, bestehend aus den drei sogenannten Kernsymptomen Impulsivität, motorische Unruhe und Störung der Aufmerksamkeitsleistung vor", erklärt Prof. Dr. Sarah Hohmann.

Laut der Kinder- und Jugendpsychiaterin ist mit dem ICD 11 nun die Vergabe der Diagnose von Schwerpunkttypen möglich. So kann zwischen dem z.B. der unaufmerksame Typus (entsprechend "ADS") und dem eher impulsiv-hypermotorischen Typus differenziert werden.

"Dies soll dem Rechnung tragen, dass nicht alle Menschen mit ADHS gleichermaßen von allen drei Kernsymptomen betroffen sind, sondern Betroffene z.B. primär unter Aufmerksamkeitsproblemen leiden können, während Impulsivität und motorische Unruhe nicht wesentlich zu Beeinträchtigungen beitragen bzw. weniger stark ausgeprägt vorliegen", so Hohmann.

Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen

ADHS und ADS wird bei Mädchen seltener diagnostiziert als bei Jungen und Männern. Häufig erhalten Frauen erst im Erwachsenenalter eine Diagnose. Das liegt daran, dass sich AD(H)S je nach Geschlecht unterschiedlich äußert und diesbezüglich noch zu viele Wissenslücken bestehen. Wie sich ADHS und ADS bei Mädchen zeigt, kannst du in diesem Artikel nachlesen.

Daran erkennst ADHS bei Kindern

Vorab sei gesagt: Jedes Kind ist einzigartig und so können auch die Verhaltenssymptome bei ADHS von Kind zu Kind stark variieren. Während das eine Kind vielleicht oft impulsiv erscheint, kann ein anderes Kind mit ADHS vor allem unaufmerksam sein und hört z.B. oft nicht zu oder erledigt Aufgaben nicht bis zum Ende.

Die Symptomatik unterscheidet sich außerdem je nach Lebensalter und Entwicklungsstand. "Im Jugendalter zeigt sich das Symptom der motorischen Unruhe bei vielen Betroffenen im Gegensatz zu Impulsivität oder Aufmerksamkeitsdefizit eher rückläufig", erläutert Sarah Hohmann. Dies führe bei vielen Jugendlichen und ihren Eltern häufig zu der Annahme, dass ein 'ADS' vorliege, obwohl es vorher durchaus auch Anzeichen für motorische Unruhe gegeben habe.

Grundsätzlich lässt sich ADHS an den Kernsymptomen Impulsivität, motorische Unruhe und Störung der Aufmerksamkeitsleistung erkennen. Wir haben diese mit Unterstützung des Buchs "Psychologie im Alltag" sowie Dr. Sarah Hohmann noch mal genauer in der Tabelle unten aufgeschlüsselt:

ADHS-Symptome erkennen

Aufmerksamkeitsdefizit

Impulsivität

Hyperaktivität

Konzentrationsschwierigkeiten: Tagträumen, Flüchtigkeitsfehler, beim Bewegen können dadurch Fehler passieren, dem Kind fällt es schwer, Reize zu ignorieren.

Unterbrechungen: Das Kind hat wenig Achtsamkeit fürs Gegenüber und dessen Bedürfnisse.

Bewegungsdrang: Das Kind hat Mühe, still zu sitzen, ist innerlich unruhig.

Unbeholfenheit: Unachtsamkeit in Alltagsbelangen.

Ungeduld: Dem Kind fällt es schwer, abzuwarten.

Ständiges Herumzappeln: Das Kind zuckt mit den Gliedmaßen, dem Rumpf oder dem Kopf.

Zerstreutheit: Das Kind scheint nicht zuzuhören, vermeidet Aufgaben, die Anstrengung bedeuten, wenig ausdauerndes Spiel.

Exzessives Sprechen: Das Kind wechselt oft das Thema oder fokussiert sich auf eines.

Keinen oder einen geringen Sinn für Gefahren: Dies kann zu einer erhöhten Unfallanfälligkeit führen.

Mangelndes Organisationsvermögen: Konzentrationsschwierigkeiten untergraben organisatorische Fähigkeiten.

Agieren, ohne nachzudenken, was zur Risikobereitschaft und Unfallanfälligkeit führt.

Vergesslichkeit: Das Kind verliert häufig Dinge.

Woran du ADS erkennst

Laut ADHS Deutschland e.V. weisen ADS-Betroffene, also Kinder und Jugendliche mit einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, u.a. diese Symptomatik auf:

  • Unkonzentriert bei Routineaufgaben und im Alltag.

  • Daueraufmerksamkeit kann nicht aufrecht erhalten werden.

  • Sind schnell ermüdet und langweilen sich schnell.

  • Haben eine diskrete motorische Unruhe, sind immer mit den Händen oder Füßen in Bewegung, aber dabei weniger auffällig als die Hyperaktiven.

  • Machen stundenlang Hausaufgaben, haben Versagensängste.

  • Sind ständig abgelenkt, da ihr Gehirn immer wieder neue Informationen verarbeiten muss.

  • Sie können sich mit Worten nicht schnell genug und sozial angepasst verteidigen und reagieren deshalb mit Rückzug und Kränkung.

Wie auch bei ADHS können die Verhaltensweisen von Kindern mit ADS variieren.

Weitere Symptome des Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ohne Hyperaktivität kannst du auf der Website des Vereins ADHS Deutschland nachlesen.

ADHS & ADS: Die positiven Aspekte

Wenn dein Kind ADHS oder ADS hat, ist das erstmal eine Information, die du sicherlich verdauen musst. Denke aber daran, dass dein Kind mit einer Zauberkraft ausgestattet ist, die die wenigsten Kinder haben: Der Phantasie.

Denn Kinder mit ADS und ADHS haben immer viele Gedanken und Bilder im Kopf und verfügen über eine blühende Phantasie, weshalb sie zwar leicht in ihre eigene Gedankenwelt abgleiten, aber dadurch auch in ein kreativeres Spiel kommen können und in kritischen Situationen schnell die besten Lösungen finden.

Weitere Vorteile von ADS und ADHS:

  • einen großen Gerechtigkeitssinn,

  • sind sehr hilfsbereit,

  • haben bei bestimmten Informationen, die sie wirklich interessieren, ein „Elefantengedächtnis“ und

  • können Menschen und Situationen gut durchschauen.

Bloß zu viel Energie oder ADHS oder ADS?

Wenn dein Kind häufig hinfällt, dir nicht zuhört, beim Essen zappelt, das Puzzle nicht zu Ende legt oder dich unterbricht, wenn du dich mit jemandem unterhältst, heißt das noch nicht, dass es ADHS oder ADS hat. Erst bei folgendem solltest du hellhörig werden:

"Die Symptomatik sollte schon seit dem Kindesalter Bestand haben und nicht durch andere Erkrankungen oder Medikamente etc. erklärbar sein", erklärt Sarah Hohmann. "Zudem sollte die Symptomatik in mehreren Lebensbereichen auffallen und eine Beeinträchtigung hieraus entstanden sein."

Tipps für Eltern zum Umgang mit ADHS & ADS bei Kindern

Es gibt Tools, wie ein Balancekissen oder Fingerspielzeug, die dabei helfen, die Konzentration deines Kindes zu verbessern.

Außerdem haben wir hier ein paar weitere Tipps, wie sich der Alltag mit Kindern, die ADHS oder ADS haben, erleichtern lässt:

  1. Routinen einführen: Wochen- oder Tagespläne sorgen für Struktur und erleichtern vor allem Kindern mit Konzentrationsschwäche die Bewerkstelligung ihres Alltags.

  2. Eindeutige Grenzen setzen: Stelle wenige Regeln auf, die du dann konsequent umsetzt. Je nachdem, wie alt dein Kind ist, kannst du es in den Prozess aktiv mit einbeziehen. Wie auch bei Kindern ohne ADHS oder ADS, sind klare Regeln und Grenzen wichtig für die Entwicklung deines Kindes.

  3. Reizarme Umgebung schaffen: Wenn du ein Schulkind mit ADHS/ADS hast, achte darauf, dass auf dem Lernplatz nichts anders liegt außer seinen Arbeitsmaterialien und seinen Schreibutensilien, damit dein Kind so wenig Ablenkungsanreize wie möglich hat.

  4. Loben und belohnen: Bei verhaltensauffälligen Kindern neigen wir dazu, das Kind zu ermahnen. Doch um es z.B. beim Lernen zu motivieren, ist gerade Lob sehr wichtig. Hebe also Positives regelmäßig hervor und stelle eine Belohnung in Aussicht, wie: "Wir können zum Spielplatz gehen, sobald du deine Hausaufgabe erledigt hast."

  5. Hilfe zur Selbstregulation: Eine Umarmung oder eine körperliche Berührung, hilft deinem Kind, seine Emotionen zu regulieren und sich zu entspannen.

  6. Wenige Aufgaben: Stelle deinem Kind wenig Aufgaben (ob Schule oder Freizeit, wie etwa Zimmer aufräumen) und unterstütze es u.U. dabei. Ansonsten kann dein Kind schnell überfordert sein.

  7. Frische Luft und Bewegung: Achte darauf, dass dein Kind ausreichend Pausen sowie Spieleinheiten an der frischen Luft bekommt. Bereits zehn Minuten können helfen, damit dein Kind sich besser konzentrieren und fokussieren kann.

Wer stellt die Diagnose ADHS oder ADS?

Hast du den Verdacht, dein Kind könnte ADS oder ADHS haben, kannst du dein Kind auf beide Entwicklungsstörungen testen lassen. Der Hausarzt kann die Diagnose nicht stellen, aber eine Überweisung an einen Facharzt oder eine Fachärztin aus der Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie geben. Spezielle Tests können herausfinden, ob und wenn, welche Entwicklungsstörung vorliegt.

Was sind die Ursachen von ADHS und ADS?

Die genauen Ursachen von ADHS und ADS sind nicht vollständig geklärt. Sicher ist aber: "Es gibt einen starken genetischen Anteil von 70 bis 80 Prozent", erklärt Sarah Hohmann. "Umweltfaktoren spielen vor allem eine Rolle in Bezug auf die Ausprägung der Symptomatik."

Der Kontext sei hier entscheidend, so Sarah Hohmann denn die Symptomatik ist z.B. beeinträchtigender im schulischen Kontext als im Kindergarten, weil dort Fähigkeiten gefragt sind, die Menschen mit AD(H)S nicht so mitbringen. "Einfacher wird es dann auch wieder im Erwachsenenalter, wenn der Kontext in der Regel durch das Individuum freier wählbar ist."

Prof. Dr. med. Sarah Hohmann - Foto: UKE
Unsere Expertin

Prof. Dr. med. Sarah Hohmann ist Fachärztin und Direktorin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE). Zu den Forschungsschwerpunkten von Prof. Hohmann zählen externalisierende Verhaltensstörungen wie das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ADHS sowie Störungen der Emotionsregulation.

Quellen

  • "Psychologie im Alltag. Wie wir denken, fühlen und handeln", DK Verlag Dorling Kindersley, 256 Seiten, 2019.

*"International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems", z.d.: "Internationale Klassifikation der Krankheiten". Neben der derzeit gültigen Version ICD-10 ist im Januar 2022 die neue Version ICD-11 in Kraft getreten.

Artikelbild und Social Media: iStock/SeizaVisuals