Essstörung

Jana Crämer über Binge Eating und wahre Freundschaft

Jana Crämer traut sich was: Die Autorin hat nicht nur ein Buch über Essstörungen und Mobbing geschrieben. Sie teilt auch ihre Erfahrungen mit ihrer eigenen Essstörung in den sozialen Medien und in ihrem neuen Podcast, den sie zusammen mit ihrem besten Freund Batomae macht. Ein ehrliches Interview über psychische Erkrankungen und wahre Freundschaft.

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Video: Glutamat

Jana Crämer versteckt sich nicht, sondern zeigt, wie schwer es Menschen in unserer oberflächlichen Welt haben - in ihrem Blog, in den sozialen Medien und in ihrem Podcast mit ihrem besten Freund Batomae. Die Bloggerin und Autorin leidet unter Binge Eating – einer Essstörung, bei der die Betroffenen nicht aufhören können zu essen und immer mehr Kalorien zu sich nehmen, als der Körper benötigt. Das hatte auch bei Jana Folgen, sie wog zeitweise 180 Kilogramm. Mittlerweile hat sie 100 Kilogramm abgenommen. Wie ihr das gelungen ist und wie sie es schafft jeden Tag mit ihrer Essstörung umzugehen, verrät sie im Interview. Außerdem berichtet die Autorin, warum sie mit dem Thema in die Öffentlichkeit geht und was ein Podcast bewirken kann.

Jana Crämer leidet unter einer Essstörung und will für Aufklärung sorgen.
Jana Crämer will das Thema "psychische Erkrankungen" aus der Tabu-Zone holen. Foto: Esther Grünhagen

Worum geht es in eurem Podcast „Schweigen ändert nichts“?

Jana Crämer: „Es geht um das Leben zweier bester Freunde, die unterschiedlicher nicht sein können. Mein bester Freund Batomae ist Musiker, steht total gerne im Rampenlicht, ist lebensbejahend und in einer glücklichen Beziehung. Ich bin leider genau das Gegenteil: Ich bin sehr labil und hatte noch nie eine Beziehung. Das Leben überfordert mich manchmal sehr und dann ist mir alles zu viel. Ich bin sehr dankbar, dass ich das in dem Podcast alles ansprechen kann und, dass mein bester Freund mir seine Sicht der Dinge sagt. Wir beschönigen nichts. Und wir weisen darauf hin, dass die seelische Gesundheit genauso wichtig ist wie die körperliche, was immer noch tabuisiert wird.

Wie sind die Reaktionen auf euren Podcast?

Jana Crämer: „Wir merken, dass die Reaktionen sehr ehrlich und sehr dankbar sind, weil wir in dem Podcast zeigen: ‚Ja, meine Psyche hat einen tierischen Knacks weg und es ist echt eine Herausforderung mit mir zu leben, zu sprechen und zu arbeiten.‘ Wenn ich mit den Hörern dann im Austausch bin, sind es genau die Sachen, die mir peinlich sind zu erzählen, worauf unglaublich positive Reaktionen kommen, wo die Hörer sagen: ‚Danke, dass du das ausgesprochen hast, ich dachte nur ich wäre so.‘ Und das Tollste ist: So unterschiedlich wir Frauen auch alle sind, so gleich sind doch die Themen in unseren Köpfen.

Wie genau äußert sich deine psychische Erkrankung?

Jana Crämer: „Ich leide schon seit der fünften Klasse unter Binge Eating. Das bedeutet, du kannst nicht aufhören zu essen. Ich nehme bis zu 12000 Kalorien bei einem Fressflash zu mir. Ich sehe dann keine andere Möglichkeit mit meiner seelischen Überforderung umzugehen. Das tut man dann irgendwann heimlich.“

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Wie hat die Freundschaft zwischen euch ungleichen Menschen angefangen?

Jana Crämer: „Zu dem Zeitpunkt ging es mir sehr schlecht. Ich habe mich nur über Arbeit und Leistung definiert. Ich war seine Managerin und er hat sich wirklich für mich interessiert. Ich habe ihn zunächst weggestoßen, dann jeden Streit vom Zaun gebrochen und schließlich alles getan, dass er mich endlich so scheiße findet, wie ich mich selbst. Er wurde immer trauriger und gestand mir, dass es an unseren ständigen Streits lag. Ich habe ihm dann alles aufgeschrieben und damit gerechnet, dass er sich vor mir ekelt und aus meinem Leben verschwindet. Er ist geblieben. Mehr noch: Batomae hat mir den Song ‚Unvergleichlich‘ geschrieben und mir die Antwort auf all meine Selbstzweifel und meine krankhaften Vergleiche gegeben. Dazu haben wir auch ein Video gedreht, wo wir schonungslos einfach drauf gehalten haben. Ich zeige meinen Körper und auch wie ich mich übergebe. Ich bin a-typisch, leide also unter einer Mischform aus Binge Eating und Bulimie.“

Worin glaubst du liegen die Ursachen von krankhaften Vergleichen?

Jana Crämer: „Es gibt nur einen Ursprung: Die ganzen Vergleiche im Netz, mit den Schönheitsidealen, wo bloß kein einziger Makel zu sehen sein darf, anstatt dass wir Frauen zusammenhalten. Ich weiß gar nicht, woher diese Stutenbissigkeit kommt? Dieser Druck ist einfach unmenschlich, dem wir ausgesetzt sind und deshalb lassen wir es dann aneinander aus. Wir müssen unbedingt damit aufhören andere Frauen immer kleiner zu machen, nur damit wir uns ein bisschen besser fühlen. Wir müssen zusammenhalten und aufeinander Acht geben. Das ist doch das einzige, was wir haben. Warum machen wir uns das Leben so schwer?“

Wie hast du es geschafft 100 Kilogramm abzunehmen?

Jana Crämer: „Jede Diät hat nur bis zu einem gewissen Punkt funktioniert, bis ich dann wieder rückfällig geworden bin. Was mir wirklich geholfen hat, sind die Gespräche mit meinem besten Freund. Je mehr wir gesprochen haben und ich den Blickwinkel ändern konnte, desto weniger sind die Fressattacken geworden. Seit 2017 mache ich außerdem auch Therapie und habe eine Ernährungsberaterin.

Ich esse alles in Maßen und zähle Kalorien. Da mein Magen sehr groß ist durch die Fressflashs, esse ich eher viel, aber mit einer geringeren Kaloriendichte, vor allem viel Obst und Gemüse. Außerdem gehe ich jeden Tag eine Stunde laufen. Mittlerweile nehme ich nicht mehr so schnell ab, aber das ist auch gesünder.“

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Wie gehst du mit deiner Krankheit heute um?

Jana Crämer: „In manchen Situationen, vor allem, wenn ich gestresst bin, ist es immer noch schwierig, vor allem, wenn ich geliebt werde. Als ich letztens in einer stressigen Phase bei meiner Mutter war, hatte ich wieder einen Zwischenfall und habe zu viel gegessen, weil sie mich bedingungslos liebt und ich denke, dass ich das nicht verdient habe.

Ich teile immer in den sozialen Medien, was ich gegessen habe. Zum einen um zu zeigen, dass Essen an sich okay ist und dass man auch eine Pizza nach 18 Uhr essen darf, aber ich zeige auch meine schlechten Phasen, in denen ich zu viel esse. Manchmal denke ich: ‚Ist das vielleicht zu ehrlich?‘ Aber ich glaube in der künstlichen Welt heute kann man nicht ehrlich genug sein.“

Danke für das offene und ehrliche Gespräch!

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