Selbstliebe

Sandra Wurster im Interview: „Das Leben ist zu kurz, um den Bauch einzuziehen“

„Wenn wir in den Wald gehen, wundern wir uns doch auch nicht, warum der eine Baum dünner oder dicker ist als der andere!“ – Sandra Wurster spricht mit uns über ihr Buch „Das Leben ist zu kurz, um den Bauch einzuziehen“ und verrät, was dahinter und auch darin steckt.

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Sandra Wurster ist gelernte Tanzpädagogin und Gründerin ihres eigenen Lifestyle- und Mode-Labels „Bauchfrauen“. Ihr Motto „Das Leben ist zu kurz, um den Bauch einzuziehen“ hat in „Shopping Queen“ Guido Maria Kretschmer begeistert – nun hat es ein ganzes Buch inspiriert. Im Interview mit Wunderweib spricht die Autorin über die größte menschliche Problemzone, Instagram und Wege zur Selbstliebe.

Liebe Sandra, welche Motivation steckt hinter Deinem Buch und dem, was du tust?

Ich habe vor ca. 5 Jahren angefangen, mich mit feministischen Prinzipien zu beschäftigen und Frauenworkshops zu veranstalten und hab da einfach immer wieder gedacht: Frauen haben nicht nur in der Gesellschaft nicht die Fläche, die sie gerne hätten, sondern sie nehmen sich auch einfach nicht die Fläche, die sie brauchen – sie fordern sie gar nicht ein. Und ich hab mir einfach gedacht, dass ich Frauen ermutigen und sie daran erinnern will, wie toll sie sind, und daran, dass sie ihre Kräfte und ihre innere Göttin nur aktivieren müssen.

Durch „Das Leben ist zu kurz, um den Bauch einzuziehen“ nimmst Du eine Art Vorbildrolle ein – wie siehst Du das?

Ich habe generell einfach den Drang, die Welt zu verändern und bunter zu machen. Ich will aber kein Vorbild sein, aber ich finde es toll, Menschen zu inspirieren. Wenn jemand etwas, das ich sage oder tue, für sich nutzt oder auch umwandelt, dann freue ich mich – so funktioniert für mich das Leben.

Sandra Wurster spricht mit uns über ihr Buch „Das Leben ist zu kurz, um den Bauch einzuziehen“ und verrät, was dahinter steckt.
Sandra Wurster spricht mit uns über ihr Buch „Das Leben ist zu kurz, um den Bauch einzuziehen“ und verrät, was dahinter steckt. Foto: Jeanette Bak

Als Body Positivity-Sprecherin hast Du auch mit Vorwürfen zu kämpfen. Was antwortest Du Deinen Kritikern?

Ich werde ganz oft dafür angegriffen, dass ich das Dicksein zelebriere und sage Dicksein ist gesund. Ich glaube jeder muss für sich selbst herausfinden, was für ihn gesund ist und was nicht. Ich kann nicht abstreiten, dass extremes Unter- oder Übergewicht schädlich ist, vor allem schädlich für das eigene Leben, aus dem man sich selbst ausschließt. Doch meines Erachtens ist es noch viel schädlicher, sich erst gar nicht wirklich in seinem eigenen Leben einbringen zu wollen, weil man sich innerlich oder äußerlich ungenügend, unschön oder ungeliebt fühlt. Und das tun Menschen übrigens in allen Kleidergrößen – umso wichtiger ist, dass wir alle verinnerlichen das unser Wert nicht an dem Umfang unseres Bauches, Po oder an Muskeln zu messen ist.

Ich liebe diesen Spruch: „Deine größte Problemzone sind deine Gedanken.“ Viele denken ja von mir, dass ich eine Body-Positivity-Aktivistin bin, aber ich bin viel mehr eine Selbstliebe-Aktivistin. Und beim Thema Selbstliebe ist es halt so: Der Körper ist nur ein Punkt – es geht um Beziehungen. Ob nun die Beziehung zu deinem Körper, zu dir selbst oder zu deinem Partner, deiner Familie…

„Deine größte Problemzone sind deine Gedanken“?

Ich glaube die meisten Menschen wissen nicht, wie stark ihre Gedanken auch ihre Realität formen. Wir haben mehr als 50.000 Gedanken täglich und davon ist mindestens die Hälfte negativ… Das ist schon harter Tobak. Oft ist es schon die Art, wie wir etwas nennen: Sind es Fehler oder Erfahrungen, Probleme oder Herausforderungen?

Das Problem ist ja, dass wir das Gute als selbstverständlich nehmen: Wenn mir mein Freund zehn Tage lang Blumen mitbringt und an Tag elf bringt er mir keinen Strauß mit – wahrscheinlich frage ich dann: „Warum hast du mir heute keine Blumen mitgebracht?“ statt zu sagen „Danke, dass du mir zehn Tage lang Blumen geschenkt hast!“ Und so ist es auch mit unserem Körper: Er funktioniert! Fast immer! Das muss man sich mal vorstellen – aber es ist ganz selbstverständlich für uns und erst in Situationen, in denen er nicht mehr funktioniert, merken wir, was er eigentlich jeden Tag für uns tut.

Natürlich ist das auch die Normalität und wir können nicht alles permanent feiern, aber es geht darum, auf das Gute Acht zu geben und es wirklich wahrzunehmen. Wenn wir in den Wald gehen, wundern wir uns doch auch nicht, warum der eine Baum dünner oder dicker ist als der andere! In diesem Moment sind wir alle in der Lage zu erkennen, dass Vielfalt ein wichtiger Aspekt der Schönheit ist. Aber was unseren Körper angeht, wollen wir uns alle in eine oder zwei Kleidergrößen reinzwängen.

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Sind Medien wie Instagram schuld an den immer stärker wachsenden Selbstzweifeln?

Das Internet ist ja genauso wie Geld, genauso wie Sex oder ein Messer erstmal nicht schlecht – du entscheidest, was du damit tust. Du kannst auf Instagram auch einfach den Menschen entfolgen, die dir nicht guttun. Stattdessen kannst du Leuten folgen, die irgendetwas tun, das dich begeistert oder motiviert. Es gibt auch auf Instagram echte Leute – du musst dich nur für sie entscheiden. Kauf dir kein Magazin oder wenn doch: Mach dir bewusst, dass die Frauen, die du da siehst, ihr Einkommen, ihren Beruf und ihre Zeit überwiegend darauf verwenden so auszusehen wie sie es tun (mal abgesehen von stundenlanger Maske und Bildbearbeitung…). Diese Frauen machen aus ihrer äußerlichen Erscheinung ihr Business. Warum sollten alle Frauen, die in ganz anderen Jobs arbeiten und vielleicht schon Kinder bekommen haben, sich daran messen? Das ist total ungesund.

Wie sehr beeinflusst die Sorge um Äußeres uns Frauen?

Frauen checken ca. alle 15 Sekunden ihr Äußeres. Hängt der Bauch draußen, sitzt der BH richtig, ist meine Schminke da, wo sie hingehört… Das ist alles SO VIEL Energie für vollkommen unnötige Gedanken! Und wenn du so denkst, bist du permanent angespannt. Jemand der so angespannt ist und in seinem Gedanken-Karussell feststeckt, kann gar nicht wirklich loslassen. Und wer nicht loslässt, kann gar nicht im jetzigen Moment durchrocken und sein ganzes Potenzial ausschöpfen. Und das ist meines Erachtens das Schlimmste.

Sandra Wurster spricht mit uns über ihr Buch „Das Leben ist zu kurz, um den Bauch einzuziehen“ und verrät, was dahinter steckt.
Sandra Wurster spricht mit uns über ihr Buch „Das Leben ist zu kurz, um den Bauch einzuziehen“ und verrät, was dahinter steckt. Foto: TRIAS Verlag

Der Weg raus führt über positives Denken?

Im Endeffekt ist es total egal, ob du es positives Denken nennst, guten Glauben oder Naivität – es ist auch egal, ob es die Wahrheit ist oder nicht. Es ist nur wichtig, mit welcher Art zu denken, mit welcher Lebensphilosophie pushst du dich auf eine hohe Frequenz oder zu guter Laune. Es ist ja ganz simpel: Wenn du gute Laune hast und dich gut fühlst, dann hast du auch einfach mehr Lust an deinem Alltag und am Leben. Und das zieht wiederum andere Menschen an, die die gleiche Lust haben. Und das macht es – auch wenn es jetzt spirituell klingt – möglich, dass du Schöpfer deiner Wirklichkeit bist und nicht Opfer. Die Kunst ist, sich auf das zu konzentrieren, was gut ist oder was man ändern kann und das dann zu tun.

Wie hast Du es aus diesem Sorgenkreislauf herausgeschafft?

Ich hatte nie einen dauerhaften Frieden mit meinem Körper, aber ich hatte schon immer einen Frieden mit dem Leben. Ich habe das Leben trotz allem immer gefeiert.

Ich habe ja immer getanzt und immer, wenn ich getanzt habe, habe ich mich so leicht und so schön und attraktiv gefühlt wie noch nie und ich habe auch gemerkt, dass andere Menschen das sehen können. Im Nachhinein habe ich Glück gehabt, dass ich mir einen Beruf ausgesucht habe, der mich so in die Konfrontation mit meinem eigenen Körper stellt. Ich hatte natürlich auch immer Schmerz mit meinem Körper – auch immer wieder dieses „die Dicke“ muss sich beweisen, das war ein großes Thema während meiner Ausbildung. Und das Witzige ist: Ich hatte damals eine Kleidergröße 38/40 – also total normal…

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Du hast dann bei Shopping Queen mitgemacht, um Deinen Weg zu teilen und anderen Mut zu machen – wie wichtig ist Mode für Dich?

Ich liebe Shopping, ich liebe schöne Klamotten, für mich haben Klamotten auch nicht nur einen Ablenkungs- oder Belohnungsfaktor oder den Sinn, sich möglichst gut zu präsentieren, aber auch ich habe nach und nach festgestellt, dass ich mich hinter schönen Looks versteckt hab – nach dem Motto „Vielleicht hat sie mehr drauf, aber guck mal, wie toll sie aussieht!“. Das kann auch ein Versteck sein.

Wann fange ich denn an, Kleidung oder Möbel für meine Wohnung zu shoppen? Oft, wenn ich mich schlecht und vor allem ohnmächtig fühle. Der Mensch merkt heutzutage gar nicht mehr, wie oft er in die Ablenkung geht und etwas kompensiert anstatt etwas zu tun. Es ist so wichtig, das zu bemerken, weil das ist alles Zeit, die dir fehlt, um dich mal mit deinen wahrhaftigen Sehnsüchten zu beschäftigen.

Bist Du jetzt immer zufrieden mit Dir und Deinem Körper – ist man bei Selbstliebe irgendwann angekommen?

Es gibt diesen Dokumentarfilm „Embrace“ und da gibt es diese Stelle mit einer Marathonläuferin, die in ein Buschfeuer geraten ist und 70 Prozent ihres Körpers sind verbrannt. Und sie ist danach in Depressionen gestürzt. Denn du siehst dann in den Spiegel und siehst dich nicht. Aber dann hat sie analysiert, was heißt das denn, ich sehe mich nicht, ich bin ja da. Und sie hat dann auch erzählt, dass Freunde von ihrem Partner, von ihrem Verlobten gesagt haben „Warum heiratest du sie noch?“ Und das hat sie so verletzt, weil sie gedacht hat „Ich bin doch so viel mehr als nur ein hübsches Mädchen“ – und da hinzukommen… Da bin ich auch noch nicht. Das muss ich ehrlich zugeben. Aber ich weiß, dass ich da hin will und dass das der gesunde Zustand ist. Und wenn ich da bin eines Tages, dann werden mich auch 10 Kilo mehr nicht stören.

Selbstliebe ist wie Fahrradfahren: Es ist ein dauerhafter Prozess – man verlernt es nicht, aber wenn man nicht dranbleibt, kann es mal wackelig werden. Man muss es einfach als Nebenaspekt des Lebens sehen, das man immer wieder ein bisschen daran arbeitet und sich vor allem Gutes tut.

Was tust Du, wenn Du einen Rückfall hast, wenn es wacklig wird?

Da gibt es verschiedene Sachen, jeder muss für sich herausfinden, was das Richtige für ihn ist. Mir beispielsweise bringt es dann gar nichts, solange vorm Spiegel zu stehen, bis ich mich wieder schön fühle. Das erste was ich in einem solchen Fall mache ist eine Ich-Zeit. Heißt, ich führ mich selbst ins Kino aus, ich koche für mich selbst und geh in die Meditation. Ich liebe zum Beispiel Yoga oder ich schnapp mir ein tolles Buch, ich gehe saunieren… Ich habe mein eigenes Energiefeld aufgebaut, indem ich geguckt habe, ok, die Dinge geben mir Energie. Das schreibe ich mir dann auch auf, damit ich beim nächsten Mal weiß: So bekomme ich mich aus dem Loch wieder raus.

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Du musst an der Stelle ja nur begreifen: Was bist du denn? Was bist du, wenn deine politische Einstellung und deine Religion wegfallen, deine Hobbys und das was du kannst und dein Geschlecht – was bist du? Du bist immer Seele, du bist immer Energie, du bist immer Mensch.

Das Leben ist zu kurz, um den Bauch einzuziehen…

Ja, den Bauch einzuziehen bedeutet ja nicht nur, den Bauch einzuziehen – es ist eine Metapher. Und was ist das Gegenteil davon, den Bauch einzuziehen? Es ist einfach mal eine fette Arschbombe mitten ins Leben zu machen und zu schreien: „Hier bin ich!“ – in meiner vollen Pracht, in meiner Unvollkommenheit, aber auch in meiner einzigartigen Schönheit. Denn das, was ich bin, gibt es nur einmal!

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