Brief an meine Mama

"Wer zweimal die große Liebe verliert, müsste eigentlich zusammenbrechen, aber du hast nicht aufgegeben"

Die Beziehung zwischen Müttern und Töchtern ist kompliziert. Da machen meine Mutter und ich keine Ausnahme. Ein Grund mehr, sich in Richtung Muttertag an meine Mutter zu wenden und ihr zu sagen, wofür ich sie bewundere.

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Liebe Mama,

du hast keine leichte Biografie hinter dir. 1945 direkt nach Kriegsende geboren mit einem strengen Vater, der es nicht für nötig hielt, dass seine Tochter das Gymnasium besucht. Frauen hatten zu dieser Zeit nicht viel zu melden, also hast du mit Omis Hilfe heimlich deinen Führerschein gemacht. Schon da war klar, du lässt dich nicht unterkriegen. Diese Stärke hast du behalten, trotz zweier Schicksalsschläge, von denen schon einer allein andere Menschen komplett aus der Bahn geworfen hätte: Du hast beide Väter deiner Kinder verloren.

Der Vater meines Bruders starb mit nur 32 Jahren nach jahrelanger Krankheit an Leukämie. Mein Vater starb mit Ende 30 ganz plötzlich an einem Herzinfarkt - ich war erst sieben Monate alt.

Wer zweimal die große Liebe verliert, müsste eigentlich zusammenbrechen, aber du hast nicht aufgegeben. Du bist trotz dieser Schicksalsschläge positiv geblieben, hast nie gejammert und alles dafür getan, dass es uns Kindern gut geht. Ich habe dich mal gefragt, wie du den Tod meines Vaters verkraftet hast. Deine simple Antwort: „Ich hatte einfach keine Zeit vor Selbstmitleid zu zerfließen. Ich musste mich um ein Neugeborenes kümmern und arbeiten gehen, um Geld zu verdienen.“ Daran sieht man, dass es möglich ist, in Krisenzeiten über sich hinauszuwachsen und Unmögliches zu schaffen. Du hast zudem zu mir gesagt: „Die Arbeit war meine Therapie.“ Zum Glück hattest du als Leiterin einer Kindertagestätte einen Job, der dich voll und ganz erfüllt hat.

Meine Mutter hat nach der Realschule zunächst eine Ausbildung als Notariats- und Rechtsanwaltsgehilfin gemacht und erst mit 30 eine Umschulung zur Sozialpädagogin.

Ich bewundere die positive Lebenseinstellung meiner Mutter.
Meine Mama und ich. Foto: Miriam Mueller-Stahl

Du bist ein richtiges Arbeitstier. Damit meine ich nicht, dass du ein Workaholic bist, sondern dass du immer gerne gearbeitet hast. Selbst jetzt als Rentnerin arbeitest du noch ehrenamtlich in einer Schule und hast immer wieder neue Projekte. Du hast eine unfassbare Energie, von der sich viele jüngere Menschen eine Scheibe abschneiden könnten.

Ich bewundere deine Stärke, deine positive und lebensbejahende Einstellung und bin dir wahnsinnig dankbar für deine uneingeschränkte Unterstützung bei der Suche nach meinem Platz im Leben.

Ich hab dich lieb!

Deine Tochter Miriam

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