Scheidungskind

Wie die Scheidung der Eltern die eigene Beziehung beeinflussen kann

Familientherapeutin Marthe Kniep aus Jesteburg im Süden Hamburgs erklärt, welchen Einfluss es auf die Beziehung haben kann, wenn einer oder beide Partner Scheidungskinder sind.

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„Scheidungskind“ ist keine Diagnose. Was für ein Glück, wo es heute wirklich keine Seltenheit mehr ist, wenn Eltern sich trennen oder scheiden lassen. Scheidungen sind heutzutage auch meist kein Skandal mehr und somit für betroffene Kinder weit weniger stigmatisierend als früher.

Trotzdem erleben die meisten Kinder die Zeit rund um die Trennung ihrer Eltern als Belastung. Denn nicht allen Eltern gelingt es, sich auf eine Weise zu trennen, die für die Kinder gut verkraftbar ist. Manche nehmen wirklich seelischen Schaden, andere kommen mit der Zeit recht gut damit zurecht. Und dies kann sich ganz unterschiedlich auf Beziehungen von erwachsenen Scheidungskindern auswirken.

Wie viele Scheidungen gibt es?

Die Wahrscheinlichkeit ist recht hoch, dass wir bei der Partnersuche auf ein „Scheidungskind“ treffen. Seit 1970 wurden jährlich über einhunderttausend Ehen geschieden. Bis 2003 stieg die Zahl der Scheidungen auf über 213000. 2017 waren es trotz rückläufiger Zahlen immer noch über hundertfünfzigtausend. Die Zahl der heute erwachsenen Kinder, die aus diesen Ehen hervorgingen, liegen im siebenstelligen Bereich und sind somit kein kleiner Teil der Bevölkerung. Und hinzu kommen noch all die statistisch nicht genau erfassbaren Kinder, deren unverheiratete Eltern sich getrennt haben.

Worunter Scheidungskinder häufig leiden

Wie gut oder schlecht die Trennung von den Kindern verkraftet wird, hängt in hohem Maße davon ab, wie die Eltern sich in der Zeit vor, während und nach der Trennung zueinander verhalten und wie sie in dieser Zeit für ihre Kinder da sein können.

Problematisch sind dabei folgende häufige Verhaltensweisen von Eltern in Trennung, die ganz unterschiedliche Auswirkungen auf die Kinder haben können.  

  • Wenn Eltern die Bedürfnisse der Kinder aus den Augen verlieren

Wenn die Eltern zu sehr um ihre Probleme kreisen, machen Kinder die unschöne Erfahrung, dass ihre Bedürfnisse nicht gesehen werden und es keine Kapazitäten bei den Eltern gibt, über eigene Anliegen zu sprechen. Dies kann dazu führen, dass Kinder ihre Bedürfnisse nicht als ausreichend wichtig wahrnehmen und wenig Übung darin bekommen, sie zu formulieren und in einer Beziehung durchzusetzen. In späteren Beziehungen kann sich das so ausdrücken, dass Scheidungskinder mit ihren Bedürfnissen hinterm Berg halten und den Bedürfnissen des Partners Vorrang geben. So entsteht ein Ungleichgewicht, das früher oder später zum Problem werden kann. 

  • Nicht offen damit umgehen, dass etwas nicht stimmt und „heile Familie“ spielen

Kinder spüren immer, wenn etwas nicht stimmt oder nicht echt ist. Deshalb merken sie auch, wenn die Eltern nur noch zum Schein als Paar auftreten. Vielleicht können die Kinder es noch nicht benennen. Aber sie merken immer, dass etwas falsch läuft. Wird ihnen vorgelebt, dass man Dinge besser nicht ausspricht, nicht klar anspricht und gute Miene zu bösem Spiel macht, besteht die Gefahr, dass sie dieses Muster in späteren Beziehungen nachahmen. Und zwar auch dann, wenn sie als Kind genau unter diesem Verhalten gelitten haben.

  • Vor den Kindern schlecht übereinander reden

Leider lassen manche Elternteile nach einer Trennung kein gutes Haar am anderen Elternteil. Sprechen sie vor den Kindern schlecht übereinander, machen sie es den Kindern schwer, weiterhin beide Eltern liebhaben zu können. Die Folge ist oftmals ein Loyalitätskonflikt der Kinder, der sehr unterschiedliche Folgen haben kann, aber in jedem Fall belastend ist.

  • Sich mit viel Streit trennen

Erleben Kinder, dass eine Trennung im Rosenkrieg endet, kann es sein, dass sie später entweder auf enge Bindungen verzichten werden oder sich immer wieder in oberflächlich geführte Beziehungen begeben. Der verborgene Sinn dahinter ist oftmals, dass sie sich auf diese Weise einen Trennungsschmerz ersparen, der sie wieder mit dem alten Schmerz der elterlichen Trennung in Kontakt bringen könnte.   

  • Den Respekt voreinander verlieren

Außerdem lernen Kinder im ungünstigen Fall nicht (ausreichend), wie man auch im Konfliktfall respektvoll mit dem anderen Geschlecht umgeht und dass eine Trennung auch eine gute Lösung sein kann. Denn das ist sie ja tatsächlich manchmal. Und wer weiß, wie gut es sich anfühlen kann, wenn beide nicht mehr miteinander können und einen Schlussstrich ziehen, nach dem das Leben für jeden wieder lebenswert ist, der kann diese Option auch eines Tages ohne Panik für sich in Betracht ziehen, wenn es das Leben erfordert. 

  • Die Kinder davon überzeugen wollen, dass der andere „Schuld“ ist

Wer Schuld verteilen will, übernimmt zu wenig Verantwortung für den eigenen Anteil am Ganzen. Aber das können Kinder noch nicht verstehen. So glauben Kinder, was die Eltern ihnen sagen. Auch über den anderen Elternteil. Wenn Kinder dann zum Beispiel dauerhaft hören: „Dein Vater war schuld, weil….“ Dann glauben sie es irgendwann. Und dann will dieses Kind nicht so werden wie der Vater, obwohl er immer eine wichtige Figur im Leben eines Kindes ist und für Jungen und ihre Identitätsfindung unerlässlich ist. Und das wirkt immer in spätere Beziehungen hinein.

  • Die Kinder zu sehr einbeziehen

Deine Mutter hat einen anderen. Dein Vater trinkt zu viel Alkohol. Er bringt es im Bett nicht mehr. Deine Mutter ist faul und will nicht arbeiten. Sätze wie diese sind Gift für Kinderohren. Sie verunsichern, setzen einen geliebten Elternteil in ein schlechtes Licht und zwingen die Kinder, sich auf eine der beiden Seiten zu stellen, die früher noch als Eins erschienen. Was die Erwachsenen miteinander zu klären haben, müssen die Kinder nicht erfahren. Es belastet Kinder über Gebühr und sie wollen helfen, obwohl sie das gar nicht können. Das wiegt schwer!

Oft sind die Kinder dann loyal mit dem vermeintlich schwächeren Elternteil, obwohl sie das Ganze natürlich nicht wirklich einschätzen können und es nicht immer die beste Lösung ist. Außerdem können sich unbewusste persönliche Leitsätze daraus entwickeln, wie: Bleibe unabhängig. Man muss unter allen Umständen fleißig sein. Auf Männer ist kein Verlass. Treue ist kein Wert... Solche verinnerlichten Sätze wirken lange. Oft in neue Beziehungen hinein – ob beruflich oder privat.

Was hilft, wenn „der Knacks“ durch die Trennung in aktuelle Beziehungen hineinwirkt?

Wichtig zu betonen ist hier, dass niemand seinem Schicksaal auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Kein Trennungskind muss es sein Leben lang schwer haben. Mit psychotherapeutischer Hilfe können viele Verhaltensweisen in Paarbeziehungen verändert werden, die möglicherweise aus einer destruktiv abgelaufenen und nicht verarbeiteten Trennung der Eltern resultieren. Doch manches „Manko“ erkennt man eben erst, wenn man in einer Beziehung angekommen ist. Und leider selten vorher. Wer in der Beziehung merkt, dass es „irgendwo hakt“, der sollte sich deshalb zügig einen Paartherapeuten suchen, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist.

Denn eins ist klar: Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Und das gilt unabhängig davon, ob sich die eigenen Eltern oder die des anderen nun getrennt haben oder nicht! Wer allerdings bei jedem neuen Versuch auf Scheidungskinder fliegt, tut gut daran, mal zu hinterfragen, wo da die unbewusste Motivation sein könnte, worin die Anziehungskraft liegt und ob dies dann gut ist für eine Beziehung.

Doch wir können nicht alles vorhersehen oder einen Psycho-Fragebogen abhaken, der uns eine gültige Prognose für die laufende Partnerschaft gibt oder uns vor ungünstigen Eigenschaften beim anderen warnt. Dafür ist das Leben zu bunt und Beziehung einfach eine zu komplexe Sache. Niemand weiß zu Beginn, wie sie sich entwickelt. Und das ist auch gut so. Sonst wären wir um manche schöne Erfahrung ärmer. Und durch die anderen wachsen wir!

Autorin: Marthe Kniep

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