"Horror-Haus von Gloucester"

Fred und Rose West: Die wahre Geschichte

Fred und Rose West misshandelten und töteten junge Frauen – und zwei ihrer eigenen Kinder. Alles über einen der schlimmsten britischen Kriminalfälle.

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Frederick und Rosemary West schienen ein unauffälliges Ehepaar zu sein. Sie wohnten mit ihren zehn Kindern (davon einige aus anderen Beziehungen) in einem Reihenendhaus in der Cromwell Street 25 in Gloucester, 180 Kilometer von London entfernt. Die Fassade des Hauses: schmutzig-beige, die Fensterrahmen apfelgrün.

Dahinter führte das Paar ein perfides Doppelleben: Fred und Rose folterten, missbrauchten und ermordeten zwanzig Jahre lang mindestens zwölf Frauen – darunter auch ihre gemeinsame 16-jährige Tochter Heather.

Alles zum "Horror-Haus von Gloucester", einem der schlimmsten Kriminalfälle Großbritanniens.

"Unsere Schwester liegt unter der Terrasse"

Russ Williams, Kriminalbeamter in Gloucestershire, hatte in seinen bis dato zwölf Jahren als Ermittler schon viel Grausames gesehen. Doch die Geschichte der Wests sprengte für ihn den Rahmen des Vorstellbaren. „Die Ermittlungen im West-Fall haben mich im Bezug auf das, was Menschen einander antun können, verändert“, sagt Williams in der dreiteiligen Netflix-Doku „Fred und Rose West: Eine britische Horror-Story“.

Anfang der 90er Jahre habe die Polizei Hinweise von den Sozialdiensten und der Schule darüber bekommen, wie die Kinder zu Hause behandelt wurden. Gegen Rose und Fred wurde 1992 wegen Kindesmissbrauchs ermittelt; Fred wurde wegen mehrfacher Vergewaltigung mit Rose als Komplizin angeklagt. Doch die Anklage wurde 1993 fallen gelassen.

1994 kam die Kehrtwende. „Einige Kinder erzählten uns, dass sie unter der Terrasse enden, wenn sie sich nicht benehmen – wie ihre Schwester Heather“, erzählt Williams. Da diese Aussage von mehreren Kindern kam, schauten die Ermittler sich die Situation genauer an. „Wir fanden heraus, dass Fred und Rose West ein Ehepaar mit zehn Kindern sind“, so der Kriminalbeamte.

Einige jüngere Kinder seien in Pflegefamilien gekommen, die restlichen Kinder lebten in der Cromwell Street 25 – außer Heather. Die 16-jährige Tochter der Wests war seit 1986 nicht mehr gesehen worden. Ein Umstand, der – vor allem in Verbindung mit den Aussagen der Kinder – Russ Williams aufhorchen ließ.

Fred Wests Geständnis

Beweise hatte die Polizei nicht in der Hand, konnte jedoch einen Durchsuchungsbefehl für die Cromwell Street 25 im Februar 1994 erwirken. Die Durchsuchung sollte 55 Tage dauern.

Bei den Ausgrabungen entdeckten die Ermittler einige Knochen – und gingen zunächst davon aus, dass es sich um Tierknochen handelte. Doch dann gestand Fred den Mord an seiner Tochter Heather. Mit einem Kabel erdrosselte er sie nochmals, um sicherzugehen, dass sie tot war. Anschließend zerstückelte er seine Tochter mit einem Brotmesser. Während er die Tat gestand, weinte Fred nicht, schien nichts zu bereuen. Er zeigte der Polizei, wo der Leichnam seiner Tochter versteckt war. Heather Wests Leichenteile wurden unter der Terrasse geborgen.

Die Morde von Fred und Rose West

In den folgenden Wochen entdeckten die Ermittler die Leichen bzw. Leichenteile von neun weiteren Mädchen und Frauen. Insgesamt ermordeten Fred oder Rose zwischen 1967 und 1987 zwölf Frauen, die entführt wurden, Untermieterinnen der Wests, Geliebte oder eigene Kinder waren. Vor ihrem Tod wurden sie misshandelt, gefoltert, sexuell missbraucht und schließlich teilweise zerstückelt im Garten, dem Keller oder auf Feldern vergraben.

Einige der von den Wests Getöteten stammten aus schutzbedürftigen Verhältnissen. Das Paar suchte gezielt in örtlichen Kinderheimen nach Mädchen, die es in die Cromwell Street 25 locken konnte. Andere wurden vermutlich entführt, während sie an Bushaltestellen warteten oder per Anhalter zwischen den Städten unterwegs waren.

  • 1967: Ann McFall, 18. Freds Kindermädchen, das er schwängerte und tötete.

  • 1971: Catherine „Rena“ Bernadette Costello. Freds erste Frau, mit der er zwei Kinder hatte – Charmaine und Anna Maria. Fred war nicht der leibliche Vater von Charmaine, da Catherine einen Seitensprung während ihrer Ehe mit Fred hatte.

  • 1971: Charmaine West, 8. Rose tötete ihre Stieftochter höchstwahrscheinlich, denn Fred saß zum Zeitpunkt ihres Todes wegen Bagatelldelikten im Gefängnis.

  • 1973: Lynda Gough, 18. Bekannte und Mieterin im Obergeschoss der Wests.

  • 1973: Carole Ann „Caz” Cooper, 15. Wollte mit dem Bus zu ihrer Oma fahren, wurde wahrscheinlich von den Wests entführt.

  • 1973: Lucy Partington, 21: Studentin, die an einer Bushaltestelle von den Wests entführt wurde.

  • 1974: Therese Siegenthaler, 21. Die Schweizer Studentin trampte von Südlondon nach Holyhead und wurde von den Wests ebenfalls entführt.

  • 1974: Shirley Hubbard, 15. Ein Pflegekind, wird an einer Bushaltestelle in Droitwich entführt.

  • 1975: Juanita Mott, 18. Eine ehemalige Untermieterin der Wests. Ihre sterblichen Überreste wurden im Keller der Cromwell Street 25 gefunden.

  • 1978: Shirley Anne Robinson, 18. Eine ehemalige Untermieterin, im achten Monat schwanger von Fred. Shirley drohte Fred damit, Rose von ihrer Schwangerschaft zu erzählen. Daraufhin schlug, erdrosselte und zerstückelte er sie. Rose war zu dieser Zeit im Krankenhaus und lag in den Wehen.

  • 1979: Alison Chambers, 16. Eine Freundin von Shirley, die Fred tötete und unter der Terrasse begrub.

  • 1987: Heather West, 16. Die älteste Tochter von Fred und Rose wird von ihren Eltern gefoltert und getötet, mutmaßlich vor den Augen einiger jüngerer Geschwister.

Wie konnten die Wests so grausam werden?

Was führte dazu, dass Fred und Rose zu Serienmördern wurden und ihre eigenen Kinder folterten, sexuell missbrauchten und zwei von ihnen töteten?

Schaut man sich die verschiedenen Menschen an, die in der Netflix-Doku zu Wort kommen, ergibt sich ein Bild dessen, wie Fred auf andere wirkte. Janet Leach, die Fred als Sozialarbeiterin zur Seite gestellt wurde, besuchte Fred in seiner Zelle. Sie war auch dabei, als er den Ermittlern die Leichen im Keller und im Garten zeigte.

Er erzählte alles total sachlich. Kurz war er ein wenig aufgebracht, aber dann hat er sich schnell wieder zusammengerissen und änderte seine Persönlichkeit, als wäre er ein anderer Mensch.“ Die ehrenamtliche Helferin, die heute unter an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, beschrieb Fred laut der britischen Cosmopolitan als „charmant“ und „manipulativ“.

Das ist ein winziges Puzzleteil. Mit Blick auf die Biografie von Fred und Rose West und deren anfänglicher Ehe, wird das Bild etwas klarer.

Wer ist Rose West?

Rose West kam 1953 als Rosemary Pauline Letts zur Welt. Gemeinsam mit ihren sechs Geschwistern wuchs sie in North Devon, England, auf. Ihre Eltern hießen Daisy und Bill. Laut People wurde Daisy, als sie mit Rose schwanger war, wegen einer schweren Depression mit einer Elektrokrampftherapie behandelt. Ob sich Rose als Kind deshalb ihren Kopf schlug oder häufig ins Leere starrte, so The Times, ist allerdings umstritten.

Wie Autorin Jane Carter-Woodrow in ihrem Buch „Rose West: The Making of a Monster“ schreibt, hatte auch ihr Vater Bill mit psychischen Problemen zu kämpfen und litt vermutlich an paranoider Schizophrenie. Carter Woodrow erzählte der Times zudem, dass Rose in ihrer Kindheit von ihrem Vater sexuell missbraucht wurde. Nicht auszuschließen ist, dass sie auch von ihrem Großvater misshandelt wurde.

Wer war Fred West?

Frederick Walter Stephen „Fred“ West kam als zweites Kind der Landarbeiter Walter Stephen West und Daisy Hannah 1941 im britischen Herefordshire zur Welt. Laut The Times behauptete Fred später, von seiner Mutter sexuell missbraucht und von seinem Vater brutal behandelt worden zu sein.

Im Alter von 15 Jahren verließ er ohne Schulabschluss die Schule und jobbte als Gelegenheitsarbeiter. Mit 17 Jahren erlitt er bei einem Motorradunfall einen Schädelbasisbruch und eine Beinfraktur. Er lag eine Woche im Koma, und das Bein blieb verkürzt. Ein anderes Mal erlitt er nach einem Sturz eine Hirnschädigung.

Fred und Rose West: Die Anfänge

Als Rose Fred kennenlernte, hatte er bereits begonnen, ein kriminelles Leben zu führen. Sie war erst 15 Jahre alt, als sie Fred in einer Bäckerei in Cheltenham kennenlernte. Er war zwölf Jahre älter als sie, geschieden und Vater zweier Kinder.

Fred zeigte Rose, was er sexuell mochte. Rose zog die Kinder groß, war aber gleichzeitig seine Prostituierte. Die Ermittler gehen davon aus, dass Fred die Kontrolle in der Beziehung hatte, weil er viel älter war als Rose. Rose fügte sich Freds Vorstellungen. Inwiefern Fred seine Frau genötigt hat, ist nicht klar.

Doch dass sie sich für ihn prostituierte ist sicher, denn Rose erzählte es ihrer Nachbarin. Der zeigte Fred eines Tages einen Kellerraum, den er ihr als „möglichen Folterraum“ anpries. Die Nachbarin ging nicht zur Polizei. Sie war der Ansicht, dass das, was hinter den Türen der Cromwell Street 25 passierte, einzig und allein die Wests etwas anging. Mit 16 Jahren wurde Rose zum ersten Mal schwanger von Fred.

Stephen und Mae West: Die überlebenden Kinder

Die Kinder erlitten in ihrer Kindheit Misshandlungen, sexuellen Missbrauch und Folter. Ihr Alltag war geprägt von Gewalt und Sex. Sie schliefen im Keller, in dem einige Leichen begraben waren. Eines Nachts bekam eine 17-jährige Untermieterin, Jayne Hamer (sie kommt ebenfalls in der Netflix-Doku zu Wort), Schreie eines Kindes mit, das weinte. Als Hamer zum dritten Mal Schreie hörte, lief sie davon. Sie ging nicht zur Polizei, da sie der Auffassung war, das man ihr nicht glauben würde.

Stephen West ist der älteste Sohn. Er erzählte im Interview mit Netflix: „Wir waren froh, in der Schule zu sein (...). Es war ein besserer Ort als Zuhause. Mom hat uns immer bestraft. Sie hat uns nicht nur einmal geschlagen und dann aufgehört. Sie verlor ihre Beherrschung wegen jeder Kleinigkeit. Wenn sie begann, uns zu schlagen, fiel es ihr schwer, damit aufzuhören. Es war immer unsere Schuld (...). Natürlich wollten unsere Eltern, dass wir es niemandem sagten.“

Stephens Freundin erzählte einem Lehrer, dass Stephen geschlagen wurde. „Eigentlich wollte ich wirklich, das man etwas dagegen unternimmt. Aber ich hatte Angst, das man uns alle trennen würde. Das wollte ich nicht. Wir hatten nie den Mut, offen zu erzählen, was passiert ist.“

In einem Interview, das Stephen und Mae West der BBC 1995 gaben, sagte Mae: „Ab elf oder zwölf Jahren berührte er uns ständig. Wenn wir ihn wegstießen, wurde er wütend oder sagte, wir seien Lesben.“ Den Kindern wurden pornografische Filme und Bilder gezeigt.

Stephen West ergänzt: „Papa hat immer gesagt, ,Wenn du 16 bist, schläfst du mit deiner Mama und sie wird dir beibringen, wie du eine Frau behandeln sollst und wie Sex sein sollte'“. Er sagt auch, Fred West habe ihm bereits 1992 gestanden, Verbrechen begangen zu haben. Er erinnerte sich an einen Vorfall, als er von der Schule nach Hause kam und von Rose gezwungen wurde, sich auszuziehen. Sie fesselte ihn und schlug ihn eine Stunde mit dem Schnallenende eines Gürtels. Rose warf ihm vor, Pornohefte geklaut zu haben.

Rose und Fred West: Der Prozess

Fred West wurde 1994 schließlich wegen zwölffachen Mordes angeklagt. Da er sich während der Untersuchungshaft an Neujahr 1995 in seiner Zelle erhängte, kam es nie zu einem Prozess.

Rosemary West wurde im November 1995 für schuldig befunden, zehn Mädchen und Frauen im Alter zwischen acht und 21 Jahren sexuell missbraucht, gefoltert und schließlich umgebracht zu haben. Sie wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und wird das Gefängnis vermutlich niemals lebend verlassen. Rose legte kein Geständnis ab, auch nicht zu einer Tatbeteiligung der Morde. Doch aufgrund der Beweislage konnte die Anklage die Geschworenen von ihrer Schuld überzeugen.

Die Ermittler vermuten, dass das Paar weitaus mehr Frauen ermordet hat. Trotz des Prozesses bleiben viele Fragen unbeantwortet – sowohl zu den Opfern der Wests als auch zu der Frage, ob öffentliche Stellen schon Jahre zuvor Gelegenheiten verpasst haben, den zwanzig Jahre langen Kreislauf aus Missbrauch, Inzest und Mord zu durchbrechen.

Das Haus mit der Nummer 25 in der Cromwell Street wurde abgerissen. Dort befindet sich inzwischen ein begrünter Gehweg.

Quellen

Artikelbild und Social Media: IMAGO / United Archives