Angststörung: "Das Wichtigste ist die Konfrontation mit der Angst!"
Depression ist wohl jedem ein Begriff, doch unter einer Angststörung können sich viele nichts vorstellen, obwohl mehrere Millionen Deutsche unter dieser psychischen Erkrankung leiden. Wir haben ein Interview mit einer Betroffenen geführt, die auf Instagram über ihre Angststörung berichtet, und uns ihre Erfahrungen offen geschildert hat.
Was ist eine Angststörung?
Bei einer Angststörung leiden Betroffene unter bestimmten Angst auslösenden Situationen oder Gedanken, die bei ihnen Panikattacken verursachen. Die Panik resultiert aus einer erhöhten Adrenalinausschüttung, denn der Mensch ist immer noch auf Flucht programmiert, obwohl kein Säbelzahntiger mehr hinter der nächsten Ecke lauert. Die Panik kommt plötzlich wie ein Schwall über den Betroffenen, der Körper reagiert auf den erhöhten Adrenalinspiegel mit Herzrasen, Schwindel, Schweißausbrüchen und Atemnot. Für die Betroffene ist die Situation so schrecklich, dass sie im schlimmsten Fall Todesangst haben und sich schwer selbst wieder beruhigen können. Oft sind sie nicht mehr in der Lage ihren Alltag zu meistern, weshalb eine Therapie bei Angststörungen meist dringend erforderlich ist. Bei Angststörungen werden oft gute Erfolge mit einer Verhaltenstherapie erzielt.
Welche Formen von Angststörungen gibt es?
Angst hat unfassbar viele Gesichter: Da die Ängste oft irrational sind, sind sie für die Durchschnittsbevölkerung meist nicht nachzuvollziehen, aber die Betroffenen leiden unter den Angst auslösenden Situationen enorm. Ob Flugangst, Angst vor Menschenmassen oder bestimmte Angst auslösende Gedanken, wie die Angst vor einem Herzstillstand - die Vielfalt von Angststörungen ist gigantisch und äußerst komplex, weshalb jeder Betroffene eine individuelle Therapieform benötigt.
Psychische Erkrankungen in den sozialen Medien
Waren früher jegliche psychischen Erkrankungen ein Tabu-Thema nimmt die Akzeptanz in der Gesellschaft langsam zu. Junge Menschen berichten in sozialen Medien über ihre psychischen Probleme und schaffen es so seelische Erkrankungen in die Öffentlichkeit zu bringen.
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Interview mit einer Betroffenen
Einer dieser mutigen Menschen ist Mareike, 26, die unter Emetophobie, der Angst vorm Erbrechen, leidet. Als @aboutmaiee will die junge Frau aus Buxtehude auf Instagram die Öffentlichkeit für Angststörungen sensibilisieren und anderen Betroffenen helfen. Im Interview berichtet sie uns von ihrer Erkrankung und macht anderen Angstpatienten Mut.
Seit wann leidest du unter einer Angststörung?
Mareike: "Ich leide schon, seitdem ich sieben Jahre alt bin, unter Emetophobie. Die Krankheit tritt häufig bei sehr schüchternen, perfektionistischen Kindern auf, die Angst vor einem Kontrollverlust haben und Angst haben, sich zu blamieren. Bei mir gab es keinen bestimmten Auslöser. Bis ich 20 Jahre alt war, wusste ich nicht, was für eine Erkrankung habe. Ich wusste immer nur, irgendetwas stimmt mit mir nicht. Sobald jemand gehustet hat, bin ich panisch aus dem Raum gelaufen. Mit 20 bin ich zu einer Therapeutin gekommen, die mir erzählt hat, dass die Angst vorm Erbrechen eine psychische Erkrankung ist. Ich habe dann auch ein Forum im Internet gefunden, wo es andere Betroffene gab. Es hat mir sehr geholfen, dass ich nicht die Einzige mehr war."
Welche Symptome hast du?
Mareike: "Bei Angststörungen geht es viel um die Angst vor der Angst. Wenn ich in einer unbekannten Situation bin, wird mir schwindelig und schlecht. Dann habe ich Angst mich zu übergeben und umzukippen und bekomme eine Panikattacke."
Wie behandelst du die Krankheit?
Mareike: "Ich muss während einer Panikattacke immer alleine sein. Das Wichtigste, was ich in den Jahren mit meiner Erkrankung gelernt habe, ist die Konfrontation mit der Angst und Dinge nicht zu vermeiden. Ich mache jetzt seit vier Jahren zwar keine Therapie mehr, arbeite aber immer noch viel an mir selbst. Angst geschieht immer aus einem bestimmten Grund heraus. Ich gucke, was mir mein Körper sagen will, wenn mir in manchen Situationen so schlecht wird, dass ich mich übergeben könnte, aber es dann nicht kann. Bei mir kommt die Panik vor allem, wenn ich wütend werde oder in Situationen, die ich nicht kenne und unsicher bin und ich mich minderwertig fühle. Damit eine Angst besser werden kann, muss das Selbstwertgefühl gestärkt werden. Daran arbeite ich stark. Da ich die Ursachen kenne, erlange ich die Kontrolle über mich wieder. Bei schlimmen Panikattacken nehme ich homöopathische Medikamente. Das hilft mir."
Wie wirkt sich deine Angststörung auf deine Beziehung aus?
Mareike: "Das Wichtigste ist, offen und ehrlich über die Krankheit zu sprechen, wenn man jemanden näher in sein Leben lässt. Aber auch, klare Ansagen zu machen. Insbesondere, wenn wir viel Zeit miteinander verbringen und ich merke, es geht wieder mit der Panik los, klar zu sagen, dass ich alleine sein möchte, da es mir dann besser geht. Für ihn war das am Anfang natürlich schwer. Ich glaube, für viele Angehörige ist es schwierig, das zu verstehen. Natürlich ist es schwierig innerhalb einer Panikattacke zu sprechen, aber ich versuche dann möglichst gut zu äußern, was ich gerade brauche."
Wie wirkt sich deine Schwangerschaft auf die Angststörung aus?
Mareike: "Früher dachte ich, ich kann auf keinen Fall überhaupt schwanger werden, weil ich dachte 'Dann hast du dich ja gar nicht mehr im Griff.' Da ich jetzt aber einigermaßen stabil war, haben mein Freund und ich uns doch dazu entschlossen, ein Kind zu bekommen. Am Anfang der Schwangerschaft war es dann aber ganz schrecklich, da ich mich permanent übergeben musste. Ich war ein Wrack und bin wieder in ein totales Loch gefallen. Ich dachte, ich gehe daran kaputt, weil ich jeden Tag heftige Panikattacken hatte. Ich habe dann mit anderen Betroffenen gesprochen. Das hat geholfen. Ich habe außerdem gelernt, alle Gefühle und Signale meines Körper zu deuten und darauf zu vertrauen, dass mein Körper und dieses ganz besondere Geschöpf in meinem Bauch, nur mein Bestes wollen. Ich habe aufgehört, die Schwangerschaft als eine Art Last und Belastung zu sehen und tatsächlich wurde nicht nur meine Übelkeit viel besser, sondern auch meine Angst."
Was machst du beruflich?
Mareike: "Früher war ich Tättoowiererin. Jetzt arbeite ich im Homeoffice für eine Securty Firma in Teilzeit. Für mich ist es besser, in Teilzeit zu arbeiten. Ich brauche gerade Zeit, da ich ein Buch über meine Erkrankung schreibe. Früher habe ich immer negative Erfahrungen mit Arbeitgebern gemacht, da man immer funktionieren muss. Jetzt ist ein Freund von mir mein Chef, was ein großer Segen ist."
Wie bist du auf die Idee gekommen, über deine Angststörung bei Instagram zu berichten?
Mareike: "Durch das Schreiben sortiere ich meine Gedanken und weiß, warum es mir schlecht geht. Ich war so lange alleine und dachte dann vor 1,5 Jahren. 'Warum habe ich diese Gabe meine Gefühle in Worte zu packen, wenn ich sie nicht teile?' Da mir Instagram von den sozialen Netzwerken am besten gefällt, habe ich mich dort angemeldet, um meine Texte über meine Erkrankung zu teilen. Ich möchte anderen Betroffenen helfen, sich nicht so anders und alleine mit der Krankheit zu fühlen. Selbst viele Ärzte kennen Emetophobie noch nicht."
Was ist deine zentrale Botschaft?
Mareike: "Ich möchte helfen, sich selbst zu helfen. Ich möchte Impulse setzen, mit denen andere Betroffene arbeiten können, um sich wieder selbst zu finden."
Gibst du anderen Betroffenen Tipps?
Mareike: "Ich schreibe oft darüber, wie ich etwas angehe. Natürlich ist das immer nur meine Erfahrung und nicht zentral für alle. Dann kann man sich überlegen, ob man das annehmen möchte. Da Instagram aber natürlich nur eine begrenzte Zeichenanzahl hat, schreibe ich jetzt mein Buch, das im Mai erscheint, um noch genauer darauf eingehen zu können."
Wie sind die Reaktionen?
Mareike: "Die Reaktionen sind zu bestimmt 95 Prozent positiv. Mittlerweile greift mich auch niemand mehr aufgrund meiner Angststörung an. Schlimm war es, als mein Account vor einiger Zeit so geboomt hat. Da kamen alte Bekannte von früher, die mich als aufmerksamkeitssüchtig und lächerlich beschimpft haben. Die haben sogar Facebook-Accounts in meinem Namen erstellt und eklige Dinge geschrieben. Ich habe sogar Morddrohungen bekommen. Natürlich wollte ich dann aufhören und meinen Account schließen. Dann habe ich aber an die über 90 Prozent gedacht, die sich freuen, dass ich den Account habe. Ich habe mir gesagt, es wird immer Menschen geben, die dir nichts Gutes wollen. Davon darf ich mich nicht fertig machen lassen. Ich konzentriere mich lieber auf das Positive: Ich bekomme ganz viele Nachrichten von Menschen, die meinetwegen wieder arbeiten oder zur Schule gehen können. Auch Eltern, die meinen Account lesen, um ihre Kinder besser zu verstehen, danken mir. Das gibt mir total viel, weil ich ja nur meine Erfahrungen teile. Es freut mich riesig, dass ich andere anstecken kann."
Vielen Dank für das Gespräch!
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